An meine Mitmenschen, die in der Öffentlichkeit (neben mir!) telefonieren
Sie stören mich. Ihr stört mich. Vor allem wenn es nicht nur Telefongespräche sind, da gibt es ja im Allgemeinen Hörpausen, aber wenn es ausführliche Sprachmitteilungen sind… wisst Ihr eigentlich, dass Ihr Exhibitionisten seid? Das wäre nicht so schlimm, nur… was mich wirklich ärgert: ich werde gezwungenermaßen zum Voyeur! Ist das nicht auch eine Art Freiheitsberaubung? Zumindest ist es Hausfriedensbruch! Auch im öffentlichen Tram.
Gerade dachte ich, dass wär vielleicht ein Beitrag für die Lesung zum Thema: „Gehen oder bleiben“
Ja, in solchen Situationen würde ich gerne gehen, aber warum eigentlich ich? Sollte ich vielleicht dem telefonierenden Mitmenschen sagen: „Möchten Sie nicht lieber woanders ungestört reden?“ Überhaupt, die Lösung: ich fange an – nein, nicht zu telefonieren – aber zu reden, zu ihm, den telefonierenden! Oder: ich nehme mein iPhone und täusche ein Gespräch vor, ich sage in normaler Lautstärke meinem imaginären Zuhörer, wie es mir so geht, vielleicht erzähle ich ihm auch, was ich gerade gehört habe? Vielleicht – und das wäre wirklich was – regt sich dann jemand über mich auf… Und dann entsteht ein richtiger Lärm im PST – Zugabteil!
Aber vielleicht nehme ich den angebotenen Erziehungsauftrag nicht wahr, sondern übe mich neben Toleranz auch im Abgrenzen! Aber Geräusche kann ich nicht draußen vorlassen!
Ich werde gehen, obwohl ich bleibe! Ich werde die Ebenen wechseln, nicht im Zug, aber in mir. Entweder abtauchen, in die Tiefen des eigenen Unbewussten oder mich emporschwingen zu geistigen Höhen… Ja, das werde ich tun… Ich werde nachdenken, vielleicht vorausdenken, mich auf den Ort meiner Ankunft einstellen… Ich darf dann dort nur nicht vergessen, gleich zu Hause anzurufen, dass ich gut gelandet bin.
Helga Thomas
<h5>Dr. phil. Helga Thomas. Geboren
am 31. Januar 1943 in Berlin.
Ausbildung und Arbeit als Analytikerin, Psychotherapeutin.
1976 Diplom am C. G. Jung-Institut. Für meinen Beruf war
die Erkenntnissuche wichtig. Mit 15 entdeckte ich nach der
Flucht aus Ostberlin das Briefe- und Tagebuch-Schreiben,
und mit 18 Jahren kam der Durchbruch zur Lyrik, meiner
eigentlichen Domäne. Vor meiner Ausbildung am Jung-Institut hatte ich Slavistik
und Germanistik studiert, und zu diesem Zweck hatte
ich noch zur Zeit des eisernen Vorhangs ein Jahr in Sofia
studiert, um Material für meine Doktorarbeit zu sammeln.
Seit 2003 bin ich mindestens zweimal im Jahr für längere
Zeit in Sofia, um dort Analysen und Supervisionen,
Seminare und Vorträge durchzuführen. Es ist „stimmig“,
dass in Bulgarien ein Teil meiner Bücher jetzt erschienen
ist, die Lyrik zum Teil zweisprachig.
Ich empfinde meine beiden Kinder als das Zentrum meines Lebens,
auch wenn sie inzwischen erwachsen sind (Tochter, geboren
1978, Heilpädagogin, Sohn, geboren 1979, Mediziner),
und meine beiden Enkeltöchter Luisa, geboren 2007 und
Mathilda, geboren 2009. Immer ist ein Hund an meiner
Seite.
Mein ganzes Leben habe ich geschrieben, aber heute
weiß ich, dass 1994 durch das dichterische Aufarbeiten
eines Traumas eine Blockade meines Schaffens gelöst
wurde. Mein Beruf kommt also mir selbst zugute in meinem
dichterischen Schaffen, und mein dichterisches
Schaffen hilft mir in meinen Beruf.
Meine mir wichtigsten Bücher:
Emotionen. Gedichte, Tegra Verlag, Sursee 2000. – Dunkelblüten
– Lichtsamen. Gedichte, Verlag CH. Möllemann,
Borchen 2003. – Warte, bis die Seerose blüht, Roman,
Verlag CH. Möllemann, Borchen, 2006. – Halt inne. Blick in
eine andere Richtung. Gedichte, Sofia 2007. – Lausch auf
den Atem verborgenen Lebens. Gedichte für Nelly Sachs
und Paul Celan, Borchen 2007 (hierfür erhielt ich 2008 den
Horst Joachim Rheindorf-Preis des Bundes Deutscher
Schriftstellerärzte). – Geschichten (m)einer Kindheit. Erzählungen,
Sursee 2007. – Lichträume, Räume der Liebe
und des Lebens, bulgarisch-deutsch, Sofia 2008. Urformen,
bulgarisch-deutsch, Gedichte, Sofia 2009. – Gesicht
im Fenster, Gedichte, Wien 2011.
Die Bücher sind zu beziehen über: Dr. Helga Thomas, Hammerstr. 10, 79540 Lörrach, und beim Verlag.<7h5>