Berg und Tal
oder: Meereshöhe
Wenn man in etwa auf Meereshöhe lebt, wird jede kleine Erhebung bedeutsam. Wenn ich meinen Tiroler Freunden erzähle, daß unser wichtigster Berg der Weyerberg in Worpswede mit 54,4 Metern über dem Meeresspiegel ist, ernte ich ein mildes Lächeln. „Ihr seid’s scho arm dro“, heißt es im Angesicht des Wilden Kaisers.
Auffällig viele Straßen enden in Meyenburg auf die Endung „Berg“. Schwanenberg, Brandberg, Fuchsberg, alles kleine Geesthügel. Hier ist die Kante zwischen Geest und Marsch. Skilifte wären an diesen Bergen völlig überflüssig.
Aber wo Berge sind, gibt es auch ein Tal.
Das haben wir hier auch.
Es heißt nicht Tal, sondern Grund.
Sansibar oder der letzte Grund.
Der Grund ist ein Dobben. Das ist eine feuchte Wiese.
Da wohnt keiner. Aber das ganze Dorf hat sich drumrum entwickelt.
Ursprünglich war Meyenburg ein Straßendorf, alle Bauernhäuser standen aufgereiht am Meyenburger Damm. Dann hat sich am einen Ende des Meyenburger Dammes nach draußen ein Arm entwickelt, darum heißt die Straße Butendoor.
Und am anderen Ende liegt der Fuchsberg, und dazwischen liegen wir, am Geestrand.
Beide Enden stehen über den Mühlendamm miteinander in Verbindung- klar: Mühlenberg, Mühlendamm, Mühlengrund. Der Mühlendamm hält den Mühlenteich auf Niveau, und der Niveauunterschied zwischen Damm und Grund hält das Mühlrad der Wassermühle in Betrieb.
So hat sich das ganz gerade Straßendorf zu einem Rundling entwickelt. Das wird im Wendland als schönste Dorfform beschrieben und ist eigentlich slawischen Ursprungs.
Bei uns ist der i-Punkt die grüne Wiese, der Dobben, als Nukleus, als Kern oder Herz dieses Dorfes. Zu allem Überfluss hat jemand eine Bienenzucht dort aufgebaut, die bunten Kästen sind markant und sagen Dir: Komm nicht zu nahe. Sonst wirst Du gestochen und von diesem Virus infiziert.
Das ist Meereshöhe.
Jahrgang 1957, geboren in Braunschweig. Nach der Schulzeit habe ich in Kiel Medizin studiert und mich in Norddeutschland, insbesondere in Schleswig-Holstein, richtig verliebt. Norddeutschland bin ich treu geblieben – meine Facharztausbildungen habe ich in Lübeck absolviert, dann bin ich als Chef einer Chirurgischen Klinik nach Bremen gegangen. Seit über 15 Jahren lebe ich mit meiner Familie im kleinsten Bundesland. Wissenschaftlich habe ich über Lymphome gearbeitet und damit 1983 promoviert. Habilitiert habe ich mich 1991 in Lübeck über die Zertrümmerung von Gallensteinen. Seit 1996 Professor für Chirurgie. Ich arbeite hauptsächlich auf dem Gebiet der Gefäßmedizin und leite seit 2003 ein Gefäßzentrum an dem Klinikum Bremen-Nord
Neben wissenschaftlichen Publikationen schreibe ich kulturkritische Essays, Satire, Prosa, Geschichten über Norddeutschland, insbeson-dere über unsere nördlichste friesische Insel. Mehrmals habe ich mit Bremer Ärzten in der hiesigen Stadtbibliothek vorgetragen, schließlich ist die Medizin eines der Lieblingsmotive in der Literatur.
Warum ich schreibe? Am Grab von Kurt Tucholsky in Schweden steht eine Inschrift aus dem „Sudelbuch“, gestiftet vom Deutschen Bot-schafter in Schweden anlässlich des 75. Todestages des Publizisten und Satirikers: „Eine Treppe: Sprechen, Schreiben, Schweigen“.
Auch ich glaube an eine Hierarchie der Strukturiertheit des Denkens. Die unstrukturierteste Art des Denkens ist das Träumen. Hierbei geht alles durcheinander: Erlebtes, Erwünschtes, Geschehenes, Befürchtetes. Das Denken im Wachzustand ist demgegenüber realitätsbezogen, dennoch sprunghaft, situativ, reaktiv und den Eindrücken der Sinnesorgane folgend. Eine Hierarchiestufe höher steht das Sprechen. Sprechen erfordert eine Ordnung der Gedanken und eine Unterscheidung in Wichtiges und Unwichtiges. Gesprochenes kann aber nicht rückgängig gemacht werden. Gesagt ist gesagt.
Schreiben dagegen ermöglicht die Ordnung von Gedanken in weit hö-herem Maße: Sätze können umgestellt, verschachtelt, getrennt oder verbunden werden. Schwierige Gedanken können durch Bilder illus-triert werden, wichtige durch Fußnoten untermauert. Schreiben ist eine Investition.