ZUM MUTTERTAG:
Danke, Aldi, dass Du nicht Edeka bist
Es ist Mai 2019. Rechtzeitig zum Muttertag hat „Edeka“ ein Video präsentiert, das die Väter als Erzieher in ein ganz mieses Licht rückt und in dem Satz endet: „Danke Mama, dass Du nicht Papa bist“.
Es ist ein Muttertagsvideo auf Kosten der Väter.
Dieses Video hat einen „Shitstorm“ ausgelöst und wurde tags darauf vom Spiegel und vom Weser Kurier vorgelegt.
Der Kommentar im Spiegel war kritisch und hat mir gut gefallen.
Der Spiegel hatte thematisiert, dass auch unsere Gesellschaft dafür sorgt, dass viele Väter arbeiten gehen (müssen) und bei der Kinderbetreuung eine untergeordnete Rolle spielen:
Weil tradierte Familienstrukturen noch immer vorrangig sind in Deutschland. In der Regel ist der Vater der, der das Geld verdient und morgens aus dem Haus geht.
Das war bei uns auch immer so. Seit 35 Jahren bin ich Alleinverdiener für unsere Familie, und natürlich habe ich in der Erziehung unserer Kinder eine nachrangige Rolle gespielt. Dass mich Edeka dafür nun verarscht hat, fand ich sehr ungerecht.
Spontan viel mir die Replique ein:
Ich postete auf Facebook: „Danke Aldi, dass Du nicht Edeka bist“.
Das ist offensichtlich ganz gut angekommen, umgehend fand ich diesen Satz in verschiedenen deutschen Medien, zum Beispiel auch im Rheinischen Merkur.
Im Weserkurier wurde der Satz vom Chef des Kulturressorts, Hendrik Werner, kommentiert.
Mein Satz wurde als „dümmere Protestnote“ apostrophiert, die als Boykottdrohung gegen Edeka gerichtet sei.
Diese Einschätzung hat mich nun nicht so sehr getroffen wie das Edeka-Video, aber ich möchte sie kommentieren:
Ich empfinde den Satz weder als dumm, noch als dümmer, noch als Boykottaufruf.
Es ist eine „Danke“ an Aldi, dass man dort auf derlei sexistische Werbevideos verzichtet.
Der Boykottgedanke des Journalisten darf aber weitergesponnen werden: Edeka ist ein Akronym, das aus der „Einkaufsgemeinschaft der Kolonialwarenhändler“ entstanden ist. Herr Werner: Kolonialwaren, das sind Produkte aus Kolonien.
Im Namen Edeka steckt die koloniale Tradition, von der sich Bremen mit großer Eindeutigkeit distanziert. Bremen hat sogar ein Anti-Kolonial-Denkmal.
Gehen Sie aber gerne weiter dort einkaufen.
Edeka sagt: „Wir lieben Lebensmittel“. Ein Bremer Wahlkampfspruch sagt: „Wir lieben Bremen.“
Da hat doch jemand abgeschrieben.
Willy Brandt sagte einmal: „Es wächst zusammen, was zusammen gehört.“ Das wäre in diesem Fall richtig dumm.
Heiner Wenk, Muttertag 2019
Jahrgang 1957, geboren in Braunschweig. Nach der Schulzeit habe ich in Kiel Medizin studiert und mich in Norddeutschland, insbesondere in Schleswig-Holstein, richtig verliebt. Norddeutschland bin ich treu geblieben – meine Facharztausbildungen habe ich in Lübeck absolviert, dann bin ich als Chef einer Chirurgischen Klinik nach Bremen gegangen. Seit über 15 Jahren lebe ich mit meiner Familie im kleinsten Bundesland. Wissenschaftlich habe ich über Lymphome gearbeitet und damit 1983 promoviert. Habilitiert habe ich mich 1991 in Lübeck über die Zertrümmerung von Gallensteinen. Seit 1996 Professor für Chirurgie. Ich arbeite hauptsächlich auf dem Gebiet der Gefäßmedizin und leite seit 2003 ein Gefäßzentrum an dem Klinikum Bremen-Nord
Neben wissenschaftlichen Publikationen schreibe ich kulturkritische Essays, Satire, Prosa, Geschichten über Norddeutschland, insbeson-dere über unsere nördlichste friesische Insel. Mehrmals habe ich mit Bremer Ärzten in der hiesigen Stadtbibliothek vorgetragen, schließlich ist die Medizin eines der Lieblingsmotive in der Literatur.
Warum ich schreibe? Am Grab von Kurt Tucholsky in Schweden steht eine Inschrift aus dem „Sudelbuch“, gestiftet vom Deutschen Bot-schafter in Schweden anlässlich des 75. Todestages des Publizisten und Satirikers: „Eine Treppe: Sprechen, Schreiben, Schweigen“.
Auch ich glaube an eine Hierarchie der Strukturiertheit des Denkens. Die unstrukturierteste Art des Denkens ist das Träumen. Hierbei geht alles durcheinander: Erlebtes, Erwünschtes, Geschehenes, Befürchtetes. Das Denken im Wachzustand ist demgegenüber realitätsbezogen, dennoch sprunghaft, situativ, reaktiv und den Eindrücken der Sinnesorgane folgend. Eine Hierarchiestufe höher steht das Sprechen. Sprechen erfordert eine Ordnung der Gedanken und eine Unterscheidung in Wichtiges und Unwichtiges. Gesprochenes kann aber nicht rückgängig gemacht werden. Gesagt ist gesagt.
Schreiben dagegen ermöglicht die Ordnung von Gedanken in weit hö-herem Maße: Sätze können umgestellt, verschachtelt, getrennt oder verbunden werden. Schwierige Gedanken können durch Bilder illus-triert werden, wichtige durch Fußnoten untermauert. Schreiben ist eine Investition.