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Das Fenster (Amir Mortasawi alias Afsane Bahar))

Das Fenster

Forough Farrokhzad (1934 – 1967)
Übersetzung aus dem Persischen von Afsane Bahar und Andreas Schmidt; 7.7.2012

***

Ein Fenster zum Sehen.
Ein Fenster zum Hören.
Ein Fenster, das wie ein Brunnenschacht an seinem Ende das Herz der Erde erreicht
und sich zugleich in die Weite dieser unendlichen blauen Zartheit hinein öffnet.
Ein Fenster, das die kleinen Hände der Einsamkeit überfließen lässt
von dem nächtlichen Geschenk des Duftes groß-gütiger Sterne.
Und von dort aus lässt sich
die Sonne zu Gast bitten in die Fremde hinieden zu den Geranien –
Ein Fenster ist mir genug.

Ich komme aus dem Land der Puppen
aus den Schatten papierner Bäume
im Garten eines Bilderbuches;
aus den trockenen Jahreszeiten fruchtloser Erfahrungen der Freundschaft und Liebe
in den staubigen Gassen der Unschuld;
aus den Jahren des Heranwachsens bleicher Buchstaben des Alphabets
hinter den Pulten einer schwindsüchtig-ausgezehrten Schule;
aus dem Moment, in dem es den Kindern gelang,
auf die schwarze Tafel das Wort „Stein“ zu schreiben,
woraufhin die Stare aufgeregt aus dem alten Baum aufflogen.

Ich komme aus den Wurzeln Fleisch fressender Pflanzen
und mein Gehirn quillt noch immer über
von dem Angstschrei des Schmetterlings,
den man mit einer Stecknadel in einem Heft
gekreuzigt hatte.

Als mein Vertrauen an dem schwachen Seil der Gerechtigkeit hing,
und man in der ganzen Stadt
mein Herz aus Lichtern in Stücke riss,
als man meine kindlichen Augen der Liebe
mit der dunklen Binde des Gesetzes verschloss
und meinen vor Sehnsucht pochenden Schläfen
Blutfontänen entströmten,
als mein Leben nichts mehr war,
nichts weiter als das Ticktack der Wanduhr,
erkannte ich,
ich muss, ich muss, ich muss,
wie wahnsinnig lieben.

Ein Fenster ist mir genug –
ein Fenster zum Augenblick der Erkenntnis, des Betrachtens und der Stille.
Jetzt ist das Walnussbäumchen
soweit aufgeschossen,
dass es seinen jungen Blättern die Mauer deuten kann.

Frag den Spiegel
nach dem Namen deines Retters.
Ist die Erde, die unter deinen Füßen bebt,
nicht einsamer als du?
Haben die Propheten die Botschaft der Zerstörung
mit sich in unser Jahrhundert gebracht?
Sind diese einander jagenden Explosionen
und die vergifteten Wolken
der Widerhall der heiligen Schriftverse?
Du, Freund – Du, Bruder – Du, Blut von meinem Blut,
wenn du den Mond erreichst,
schreib das Datum des an allen Blumen verübten Massakers nieder.

Immer stürzen die Träume ab
aus der Höhe ihrer Leicht- und Gutgläubigkeit und sterben.
Ich rieche den vierblättrigen Klee,
der auf dem Grab alter Begriffe gewachsen ist.
War die Frau,
die im Leichentuch ihres Wartens und ihrer Keuschheit begraben wurde,
meine Jugend?
Werde ich wieder die Treppen meiner Neugier hinaufsteigen,
um den guten Gott zu grüßen, der auf dem Dach des Hauses einherschreitet?

Ich fühle, dass die Zeit vorbei ist.
Ich fühle, dass der „Moment“ mein Anteil an den Blättern der Geschichte ist
Ich fühle, dass dieser Tisch nur scheinbar trennt
meine Haarsträhnen von den Händen dieses traurigen Fremden.

Sag mir auf ein Wort:
Was sonst verlangt jemand von dir,
der dir die Zärtlichkeit eines lebenden Körpers schenkt,
außer das Lebendigsein zu begreifen?

Sag es mir auf ein Wort.
Ich stehe im Schutze des Fensters.
In ihrem Licht bin ich mit der Sonne verbunden.

Published inGedichte

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