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Der Frühaufdreher oder Gegen die Zeitumstellung (Heiner Wenk)

Der Frühaufdreher

oder:

Gegen die Zeitumstellung

 

Gott hatte angeblich die Idee, der Mensch solle sich die Erde untertan machen. Der Mensch hat ihm das abgenommen und angefangen, dies und jenes auf der Erde zu verändern.

Das Klima beispielsweise, oder das Licht. Schaut mal auf Europa bei Nacht. Als ich Abitur machte, sollten die fossilen Energieträger in 25 Jahren aufgebraucht sein. Der Mensch hat sich überschätzt. Er hat selbst das bis heute nicht geschafft.

Als ich Abitur machte, wurde beim Rudern der Skull direkt vorm Einsetzen in das Wasser aufgedreht. Über der Wasserlinie, beim Vorrollen in die Auslage, wurde er abgedreht, also waagerecht geführt. Das klingt richtig, wegen des geringeren Luftwiderstandes.

Das Ruderblatt braucht einen hohen Widerstand im Wasser und einen geringen an der Luft.

Früher war ein Ruderzyklus nach dem Endzug zu Ende. Das ist heute nicht mehr so. Wenn die Hände vor dem Vorrollen über den Knien ankommen, dann erst ist der Zyklus zu Ende. Das mußte ich neu lernen, umlernen. Und über den Knien wird auch aufgedreht. Das ist angeblich besser für das Einsetzen des Ruderblattes ins Wasser. Also: Früher aufdrehen. Ich finde das widersinnig und freue mich darauf, daß man bald wieder rudert wie früher. Es wird so kommen.

Solange bleibe ich eben Frühaufdreher.

Seit 2 Wochen haben wir die Zeit auf Sommerszeit umgestellt. Ich stehe also eine Stunde früher auf. Bin somit auch Frühaufsteher. Man kann die Zeit umstellen.

Die Idee ist nicht neu, schon 1784 erläuterte Benjamin Franklin, daß durch das ausgiebige Nachtleben viel Energie vergeudet würde, und er schlug vor, pünklich ins Bett zu gehen und früh aufzustehen.

Um Energie des Nachts einzusparen, wurde im ersten Weltkrieg eine Sommerzeit eingeführt, nach Kriegsende wurde sie wieder abgeschafft. Im zweiten Weltkrieg gab es dann wieder eine Sommerzeit. 1947 wurde sogar eine doppelte Sommerzeit verordnet, allerdings nur für 7 Wochen, dann war Schluß damit.

Nach der Ölkrise gab es 1980 für Deutschland wieder eine Sommerzeit, und seit 1996 gibt es eine Sommerzeit für die Europäische Union.

Man kann, soweit hat die Menschheit es gebracht, die Zeit schalten. Dafür gibt es heute extra Zeitschaltuhren.

Man kann auch jemandem die Zeit stehlen.

Man kann sich Zeit nehmen.

Man sollt sich immer dann Zeit nehmen, wenn man keine mehr hat.

Heute gibt es sogar Zeitmanagement.

Und Zeitfenster, ganz modern. Besonders in Führungsetagen.

Aber freut Euch nicht zu früh:

Im Herbst wird die Zeit dann wieder zurückgeschaltet.

Ein Wahnsinn.

Eine Riesenspökenkiekerei.

Weil: Die Zeit schaltet sich nicht. Die Zeit läuft auch nicht.

Die Zeit ist einfach eine Idee von uns Menschen, die gerne etwas eindimensional darstellen: Länge, Zeit, Höhe, Breite.

Dem Raum und seinen Veränderungen ist das ganz egal.

Uns ja auch: Die OP Zeit wird manipuliert, die Deutsche Bahn hält sich nicht an Fahrpläne, Verabredungen sind in der Schweiz oder in Frankreich etwas ganz anderes als in Deutschland.

Ich bin immer relativ pünktlich, darum muß ich aber auch viel mehr warten als meine Mitmenschen. Bis auf das Aufdrehen beim Rudern: Da warten immer alle auf mich.

Ich wäre dafür, das Zeit schalten zu unterlassen, der Natur die Zeit zurückzugeben, die Winterzeit abzuschaffen, etwas früher aufzustehen und dafür etwas später aufzudrehen.

Und doch ruft mir der Steuermann wieder zu: Heiner, Du kommst zu spät!

Und dann lachen im Achter wieder sieben.

Published inProsa

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