Beitrag zur Lesung über „Der Mensch im Roboter, der Roboter im Menschen“ beim BDSÄ-Kongress in Wismar 2018
Waltrud Wamser-Krasznai: Der Roboter im Menschen – Zwei Fälle
Computerassistierte Operation, der Fall M.
Robodoc ist bzw. war ein Gerät für die computergestützte Fräsung und Implantation von Hüftgelenksendoprothesen. Nach der Einführung des Geräts kam es zu einer höheren Komplikationsrate als bei der herkömmlichen Methode. Es entstanden häufiger bleibende Schäden am Glutäus maximus und medius sowie an den zugehörigen Nervenbahnen. Klagen auf Schmerzensgeld wurden abgewiesen (2006). Weitere sind noch anhängig. Meine damals 69 jährige Patientin, der die Klinik zu einer computerassistierten Operation geraten hatte, erlitt eine massive Schädigung des Musculus Glutäus medius. Zwar wurde sie schmerzfrei, behielt aber eine schwere Gangstörung mit rechtsseitigem Hinken. Auch ihre Klage wurde abgewiesen. Irgendwann verlor sie die Kraft und die Lust, weiter zu prozessieren. Ihr Gang ist schauderhaft, aber sie hält sich mit ihren jetzt 81 Jahren wacker, betätigt sich in vielen Vereinen und sieht einen mittelmäßigen Trost darin, wenigstens nicht an großen Schmerzen zu leiden.
Spaziergang mit schweren Folgen, der Fall B.
Ein sportliches junges Mädchen, Medizinstudentin, macht mit ihrem Freund einen verliebten nächtlichen Spaziergang über eine Wiese mit grasenden Pferden. Sie nähert sich einem Pferd von hinten, dieses erschrickt und tritt aus. Der Hinterhuf trifft sie am rechten Unterschenkel und sie erleidet eine komplizierte Fraktur. Drei Tage später stellt sich eine lebensbedrohliche Gasbrand-Infektion ein, die nur durch eine Oberschenkelamputation zu beherrschen ist. Die psychischen Folgen sind ebenso verheerend wie die körperlichen – ihr Freund verlässt sie, in der Familie herrscht Katastrophenstimmung, Kommilitonen, Bekannte und Unbekannte triefen vor Mitleid. Sie hat überlebt, steht das durch und nimmt ihr Leben mutig in die Hand. Wie viele Prothesen sie ertrug und noch erduldet, kann nicht einmal ich, die ich ihr die meisten davon verordnet habe, zusammenaddieren. Sie bewältigt ihr Studium, absolviert nach einer kurzen Ehe eine Facharztausbildung und versorgt bis zu ihrem 60. Lebensjahr eine Schar zufriedener Patienten. Dabei übertrifft sie die meisten ihrer Altersgenossen an Aktivität, reist in der ganzen Welt umher, tanzt, engagiert und verliebt sich immer wieder aufs Neue. Aber die Medaille hat ihre zwei Seiten. Fehlstatik, chronische Überlastung des inzwischen teilweise ersetzten Kniegelenks, Lumbalgien, schmerzhafter Reizzustand des linken Iliosacralgelenks sind ebenso an der Tagesordnung wie Phantomschmerz, Stumpfbeschwerden, Wundscheuern und Ekzem. Ihre Weltsicht ist pessimistisch, mit Phasen, in denen sie zwar Fremden gegenüber all ihre Liebenswürdigkeit entfaltet, ihren Nächsten jedoch mit Ungeduld und Besserwisserei, Aggression und depressiven Verstimmungen begegnet. Bisweilen steigert sie sich in einen regelrechten Verfolgungswahn hinein, kurz, ihre Seele ist schwer verwundet. Das war auch durch Roboter, sprich bionische / myoelektrische Prothesen mit ihrem exorbitanten Preis und Wartungsaufwand bedauerlicherweise nicht zu verhindern.
Copyright Dr. Wamser-Krasznai
Dr. med. Dr. phil. Waltrud Wamser-Krasznai, geb. 1939 in Darmstadt. Studium der Medizin in Freiburg und Marburg, 1965 Promotion zum Dr. med. Kassenarztpraxis als Fachärztin für Orthopädie 1974-2007, anschließend privatärztlich tätig.
1996 Magister artium in Gießen (Klassische Archäologie, Alte Geschichte).
2003 Promotion zum Dr. phil. Freie wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Professur für Klassische Archäologie der JLU Gießen.
Bibliographie. Auswahl:
2000: Frauenraubszene. Eine Kalksteingruppe aus Tamassos, in: Periplus. Festschr. Hans-Günter Buchholz
2003: Drei Terrakottastatuetten, in: Die Akropolis von Perge I (Mainz 2003)
2006: Irdische Füße olympischer Götter (mit M. Hundeiker, M. Recke)
2007: Antike Weihgeschenke im Blickpunkt der Andrologie, in: Kleine Kulturgeschichte der Haut, 100-103
2007: Tempelknaben in Tamassos (mit H.-G. Buchholz) RDAC 2007, 229-256
2008: Kultische Anatomie (mit M. Recke). Katalog und Broschüre zur Ausstellung im Medizinhistorischen Museum Ingolstadt
2011: Die Gicht! Eine Hure ist sie, eine verfluchte Hure! Die Gelenkleiden des Hermann Hesse, Orthopädie & Rheuma
2012: Wie man sich bettet…Lager und Lagern in antiken Heil-Heiligtümern, Les études classiques 80, 2012, 55-72
2012-2013: Auf schmalem Pfad (Minerva Verlag Budapest)
2013: Für Götter gelagert. Studien zu Typen und Deutung Tarentiner Symposiasten (Minerva Verlag Budapest)
2015: Fließende Grenzen (Minerva Verlag Budapest)
2015: Aphrodite auf der Akropolis von Perge? (mit M. Recke) in: Figurines de terre cuite en Méditerranée grecque et romaine (Villeneuve d’Ascq 2015) 547-553
2016: Beschwingte Füße (Minerva-Verlag Budapest)
2017: Streufunde. Aus Archäologie und Dichtung (Weinmann Filderstadt)
2017: Katalog ausgewählter tier- und menschengestaltiger Figurinen, in: Die Akropolis von Perge (Antalya 2017) 427-454
2017: Terrakotta- Plaketten mit weiblichen Figuren („Astarteplaketten“) aus Tamassos, RDAC 2011-12 (Nikosia 2017) 513-545
2018: Scholien und Spolien (Weinmann Filderstadt)
2018: Mäander (Weinmann Filderstadt)
2019: Alpha-Götter 19.12.2019 (Weinmann Filderstadt)
2021: Füllhorn (Weinmann Filderstadt 2021)
2023: Nachlese (Minerva-Verlag Budapest)
2024: Asklepiaden (Minerva-Verlag Budapest)