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Diverse Gedichte (Eberhard Grundmann)

Reigen

Die wir einst umsorgt
und grossgepäppelt über viele Jahre,
die unsere Kräfte zehrten und mehrten,
die heute noch durch unsere Träume purzeln
herzerwärmend im Kindchenschema –
sie sind jetzt grosse Leute in des Lebens Mitte,
umtobt von der nächsten Generation.

Der immer gleiche Reigen
wird fort und fort getanzt,
aber jeden Punkt im Ring
erreichst du nur ein einziges Mal.

(18.04.2017)

Fuffsich

Für meine Freundin Jabi, die sich schwer tut.
(in Brannenburjisch)

Jetz biste fuffsich,
wat reechste uff dich?

Vor sweehundert Jahr,
bei den ollen Fritzen,
– jloob mir, det is wahr –
mussteste schon flitzen.

Heute haste frei
Jahre wie Prosente:
fuffsich sin vorbei,
fuffsich Dividende!

Nu hab man keene Bange,
lebst schon noch jans lange.

Jetz biste fuffsich,
wat reechste uff dich?

Weeste, wie det kommt,
dassde schon so alt bist?
Det kommt immer promt,
wenn det Lewen lang ist.

Wärste früh jestorm,
wärste ooch nich fuffsich,
fräss dich jetz der Worm,
man, det wäre schuftich!

Nu hab man keene Bange,
lebst schon noch jans lange.

Jetz biste fuffsich,
wat reechste uff dich?

Willste lange leem,
darfste nich erschlaffen.
Da liecht det Problem:
Willste achtsich schaffen,

kommste nich vorbei
anne fuffsich, weesste,
nutzt ooch keen Jeschrei.
Allet klar, vastehste?

Nu hab man keene Bange,
lebst schon noch jans lange.

(22.10.1995)

Physis und Metaphysis

Es stehen auf schwankender Scholle
all unsere Türme und Thesen,
gewiss ist – es komme, was wolle –
es wird anders als vorher gewesen.

Atome zerfallen und Sterne,
aus Staub werden neue Gestirne,
der Kosmos, er strebt in die Ferne,
den Gipfeln zerschmelzen die Firne.

Ein jedes, das lebt, das muss sterben,
vom Staube zum Staube bestimmt,
und vorher das Leben vererben,
das, was es benötigt, sich nimmt.

Was Physis ist, ändert sich immer,
Metáphysis einzig hält Stand,
ihr ahnt es beim göttlichen Schimmer
der Künste in jedem Gewand.

Die Mathematik zum Exempel
gehört zu den Künsten, den freien.
Die Lehrsätze aus ihrem Tempel,
sie haben die ewigen Weihen.

Was droben ist sucht drum entschlossen,
sofern ihr Vergänglichkeit fliehet.
Der Segen wird dem ausgegossen,
den füglich nach oben es ziehet.

(11.07.2013)

Sternenkunde

Warum, fragt Wennemann,
warum er sehen kann
der Gestirne Funkeln
einzig nur im Dunkeln.

Aberach fragt: Hast
du gehört, Kontrast
erst lässt etwas erkennen
und die Dinge trennen?

Auf weisser Fahne kann
man nicht sehen dann,
nicht um keinen Preis,
Adler, wenn sie weiss.

Das Gute auch im Leben
wird erst erkannt dann eben,
wenn es uns erlösen
will von allem Bösen.

(21.01.2019)

Vom Dasein zum Hiersein

Herr Aberach besucht seit einem Jahr
ein philosophisches Basis-Seminar.
Er lernt dort, dass die Welt ganz allgemein
geprägt sei durch ihr eigentliches Sein,

ihr Sein an sich als solches, in Stringenz
durch ihr Geworfensein zur Existenz,
das Sosein ihr statt Nichtsein so verleiht
und sie zum Dasein und zum Sinn befreit.

Das Dasein sei der wesentliche Kern
des Seienden per se, ob nah, ob fern.
Der Aberach, der glaubt davon kein Wort.
Ich selber würde, sagt er, auch mal dort,

mal da sein, doch ganz wesentlich scheint mir,
ich wäre, und zwar selber, jetzt und hier.
Aus dem Gesagten folgert er mit List,
dass wichtig für die Welt ihr Hiersein ist.

Was nützt, denkt er, die Welt, die einmal da,
dann wieder dort ist, aber mir nicht nah.
Geworfen oder nicht geworfen, mir
erscheint entscheidend nur, ich hab sie hier.

(03.03.2013 0220 – 21.01.2019)

Selbstbetrug

Wennemann begibt sich auf die Reise
und geniesst sie auch auf seine Weise,
selbst wenn er manch Ärger und Verdruss
hie und da schon mal ertragen muss.

Im Gedächtnis dann in spätern Zeiten
sieht er nur noch all die guten Seiten,
und je öfter sich die Reise jährt,
wird sie mehr und mehr und mehr verklärt.

Ebenso verfahren bis anheute
auf der Lebensbahn die meisten Leute:
Um die Laune sich nicht zu verderben
übersehen sie den Bruch und Scherben.

Doch am Ende kranken ihre Seelen,
weil Wahrhaftigkeit und Klarheit fehlen.
Auf dem Teppich geht man nicht gediegen,
wenn darunter die Probleme liegen.

(26.09.2013)

Wichtig

Welcher Mensch ist wichtig,
und welcher eher nichtig –
das ist – wie ich sage –
eine falsch gestellte Frage.

Hie zum Beispiel Goethe,
dort die kleine Kröte:
Wichtig sind sie alle
in dem einen oder andern Falle.

Des Dichters grösste Knüller
wären ohne Gretchen Müller
längst nicht so bekannt
und beliebt im ganzen Land.

(15.02.1998)

Der Kongress

Hallo, auch schon da?
… muss eben noch…
Wir sehn uns später!

In schnellem
reigen fliegen sie
vorbei vorträge wenige
gute der anderen viele.

Heute abend zeit?
Leider nein
ein workshop!

Schon gepackt?
Ja, muss weg – bis
zum nächsten mal!

Beinahe
wären wir
einander begegnet.

(01.10.2000)

Lupus

Wenn doch der
Mensch dem Menschen,
wenn er ihm doch
nur Wolf wäre!

So aber
ist er ihm Mensch.

(10.08.2006)

Konjunktiv

Was da alles würde, wäre, sollte,
wenn man endlich hätte, könnte, wollte,
ist am Ende gar nicht auszuhalten,
besser ist es drum, es bleib beim Alten.

Denn es reicht auch schon von ungefähr,
was beinahe nicht gewesen wär.
Beinah wärest du nicht, der du bist,
besser ist es drum, es bleibt wie’s ist.

Beinah hätten wir den Krieg gewonnen,
hätten wir ihn gar nicht erst begonnen.
Wären wir nicht hier, wo wär‘n wir dann,
oder wär‘n dann andre dran und wann?

Tu ich, was ich keinesfalls sonst täte,
beinah nicht, weil ich mich leicht verspäte,
hätte ich es, wenn ich’s recht betracht‘,
eigentlich am Ende nicht gemacht.

Manches gibt es nicht, was möglich wäre,
andres gibt es auf der Erdensphäre,
was recht eigentlich unmöglich scheint,
und sich hier im Konjunktiv vereint.

(09.04.2010)

Published inGedichte

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