Du fragst mich, woher ich stamme?
(1962)
Von Jaleh Esfahani (1921-2007)
Übersetzung aus dem Persischen von Amir Mortasawi und Andreas Schmidt
Du fragst mich,
woher ich stamme?
Ich bin nicht sesshaft,
und ziehe umher.
Ich wurde erzogen durch Trauer und Schmerz.
Betrachte die Weltkarte,
mit einem Blick überquer die Ländergrenzen,
zweifelsohne wirst du kein Land finden,
in dem kein aus meiner Heimat Vertriebener lebt.
Ich bin der unruhige Geist des Schlafwandlers,
in Nächten mit Mondschein,
im Schlaf,
wandere ich auf den unendlichen Felsen der Sehnsüchte.
Mit der Frage,
woher ich stamme,
hast du mich aus diesem goldenen Traum geweckt.
Ich bin vom hohen Dach der Sehnsüchte heruntergefallen
und liege der Mauer der Wirklichkeit zu Füßen.
Du fragst mich,
woher ich stamme?
Ich komme aus dem Land des Reichtums und der Armut,
von den grünen Hängen des Elburs-Gebirges (1),
vom Ufer des prächtigen Zayanderud (2),
und aus den alten Palästen von Persepolis.
Du fragst mich,
woher ich stamme?
Ich komme aus dem Land der Dichtung, der Liebe und der Sonne,
aus dem Land des Kampfes, der Hoffnung und der Qual,
aus den Schützengräben der Opfer der Revolution.
In durstigem Warten brennen meine Augen.
Weißt du jetzt,
woher ich stamme?
Dr. med. Amir Mortasawi
1962 in Bam/Iran geboren wuchs ich in Teheran auf und besuchte dort eine iranische Grundschule. Nach Bestehen einer Aufnahmeprüfung gehörte ich zu den ersten iranischen Schülern, denen ab dem 5. Schuljahr an der Deutschen Schule Teheran im Rahmen eines Sonderprogramms Deutsch beigebracht wurde. Anfang 1979 reiste ich aus dem Iran aus. Nach Studium der Humanmedizin in Göttingen und Frankfurt absolvierte ich die Facharztausbildung in der Herzchirurgie. Seit Januar 2016 bin ich im Bereich der Psychosomatik tätig.
2009 veröffentlichte ich meine ersten Gedichte unter dem Pseudonym „Afsane Bahar“, das ich später als Künstlernamen beibehielt.
Im Dezember 2020 erschien mein Buch „Bilder einer Reise. Lyrik“ beim Verlag Seemann Publishing.