Hätte ich tausend Stifte
Von Jaleh Esfahani (1921-2007)
Übersetzung aus dem Persischen von Amir Mortasawi und Andreas Schmidt
Hätte ich tausend Stifte,
tausend Federn,
jede mit tausend Wundern,
so würde ich jeden Tag tausend Mal
ein Epos und ein Lied für die Freiheit schreiben.
Wäre ich der Engel des Aufstands und des Zorns,
so würde ich schon tausend Jahre zuvor
die Stille und das traurige Warten der Sklaven durchbrechen;
ich würde in das Viertel der Sklavenhändler ziehen,
für die Versklavten Lieder singen,
damit die schönen Sklavinnen und die mutigen Sklaven
gegen die Sklaverei, Sklavenhalter und Sklavenhändler
sich in tausenden Aufständen zur Freiheit erheben,
dass niemand eines Anderen Knecht werde,
die Knechtschaft aus der Erinnerung der Menschheit verschwinde,
und niemand nicht einmal der Freiheit zum Knecht werde.
Wenn ich tausend Zungen hätte – mächtige Zungen,
fähig eine Botschaft ins Ziel zu tragen –
so würde ich in allen Sprachen,
die es weltweit gibt,
den der Unterdrückung verfallenen Völkern sagen:
Wenn ihr die Wurzeln der Knechtschaft mit dem Beil zerhackt,
wird eure „Vergeltung“ die errungene Freiheit sein.
Schreibt mit Flammen auf meinen Grabstein,
dass diese nach Freiheit Dürstende auf der Suche starb,
und wie verliebt sie zur Begegnung mit der Sonne eilte,
auf dass die rötliche Morgendämmerung der Freiheit aufblühe.
Wenn ich nach tausend Jahren auferstehe,
werde ich meiner Epoche den Freiheitsgruß entbieten.
Nach tausend Jahren werden andere Menschengenerationen,
wenn sie auf Besuch
von einem Stern zum anderen ziehen,
aus den verbliebenen Wellen
die Botschaft der Freiheit
aus unserer stürmischen Epoche
zu Gehör bekommen.
֎֎֎
Dr. med. Amir Mortasawi
1962 in Bam/Iran geboren wuchs ich in Teheran auf und besuchte dort eine iranische Grundschule. Nach Bestehen einer Aufnahmeprüfung gehörte ich zu den ersten iranischen Schülern, denen ab dem 5. Schuljahr an der Deutschen Schule Teheran im Rahmen eines Sonderprogramms Deutsch beigebracht wurde. Anfang 1979 reiste ich aus dem Iran aus. Nach Studium der Humanmedizin in Göttingen und Frankfurt absolvierte ich die Facharztausbildung in der Herzchirurgie. Seit Januar 2016 bin ich im Bereich der Psychosomatik tätig.
2009 veröffentlichte ich meine ersten Gedichte unter dem Pseudonym „Afsane Bahar“, das ich später als Künstlernamen beibehielt.
Im Dezember 2020 erschien mein Buch „Bilder einer Reise. Lyrik“ beim Verlag Seemann Publishing.