Lagebericht
(28.9.2019)
Betrachte ich bewegt-beunruhigt diesen Haufen
in goldenen Tretmühlen verloren
selbstzufrieden, satt, gefräßig
behäbig beschäftigt mit blendenden Blasen
in untätiger stumpfsinniger Mitläuferschaft
an nahen und fernen Verbrechen beteiligt
blicke ich in diese aufgerissenen dunklen Gründe
kommt in mir Bitterkeit und Groll gewaltig auf
Dann sage ich zu mir wiederholt warnend
der Hass gegen die Niedrigkeit verzerrt die Züge*
der Zorn über das Unrecht macht die Stimme heiser*
In solchen schmerzenden Phasen
brauche ich Tränen klärender als der Frühlingsregen
einen Blickwinkel breiter als die Ozeane
einen Standpunkt höher und fester als die Berge
ein Farbbrett bunter als die Herbstpalette
In solchen Zeiten brauche ich
die aufrichtende Wärme der Erde
die gütigen Augen der Liebe
֎֎֎
* In Anlehnung an Bertolt Brecht: An die Nachgeborenen; 1939 veröffentlicht in Svendborger Gedichte
Dr. med. Amir Mortasawi
1962 in Bam/Iran geboren wuchs ich in Teheran auf und besuchte dort eine iranische Grundschule. Nach Bestehen einer Aufnahmeprüfung gehörte ich zu den ersten iranischen Schülern, denen ab dem 5. Schuljahr an der Deutschen Schule Teheran im Rahmen eines Sonderprogramms Deutsch beigebracht wurde. Anfang 1979 reiste ich aus dem Iran aus. Nach Studium der Humanmedizin in Göttingen und Frankfurt absolvierte ich die Facharztausbildung in der Herzchirurgie. Seit Januar 2016 bin ich im Bereich der Psychosomatik tätig.
2009 veröffentlichte ich meine ersten Gedichte unter dem Pseudonym „Afsane Bahar“, das ich später als Künstlernamen beibehielt.
Im Dezember 2020 erschien mein Buch „Bilder einer Reise. Lyrik“ beim Verlag Seemann Publishing.