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Prolog (Brigitte Halewitsch)

Uns ist bekannt, dass wir zu Lebzeiten kein Bleiberecht dort haben. Schon gar nicht als Familien. Aber wir werden den Traum nie aufgeben, leibhaftig zurückzukehren an den Ort, wo wir uns fühlen wie damals. Wo Wiege und Grab zusammenfallen, sind wir unsterblich. Irgendwo existiert solches Paradies, doch den Einlass kontrolliert der Engel der Unzu-friedenheit. Große Schlangen bewachen eine Pforte, in der Gierige und Ungeduldige steckenbleiben. Nur Anspruchslose schlüpfen durch, wenn sie die Losung kennen: Es ist – wie es ist. Andere gelangen nicht über den Vorhof hinaus und werden auch diesen verlassen müssen, weil sie sich gegenseitig vergraulen.

 Unbelehrbar durch Enttäuschung pilgern wir in Scharen dorthin, denn es muss diesen Ort geben, nicht irgendwann oder im Jenseits, sondern jetzt und für alle Zeit. Je öfter wir vertrieben werden, desto begieriger streben wir nach Rückkehr. Kein Hindernis, keine Gefahr ist zu groß. Egal was es kostet, und wenn es das Leben selbst ist. Keine Sehnsucht scheint stärker als diese. Vielleicht ist sie selbst schon das Paradies. Friede, Freude, Eintracht unter Menschen und Tieren, ohne Nöte und Plagen, in dieser Welt soll der Mensch dem Menschen kein Wolf mehr, jeder willkommen und ewige Weihnacht zur Sommerzeit sein.  Nicht alle erwarten gebratene Tauben. Manche begnügen sich mit dem Überleben oder einer Arbeit und erhoffen sich nur, einer Familie und Heimat angehören zu dürfen, in der sie nicht fremd bleiben müssen. Doch irgendwas wird immer fehlen, und wenn es ein schnelles WLAN ist.

 Wie unser Vorelternpaar halten wir paradiesische Langeweile auf Dauer schwer aus. Zur traditionellen Besetzung einer spanischen Krippe gehört der Caganer. Das ist ein Kerl mit nacktem Hintern und heruntergelassener Hose, der sich nicht schämt, bei Jesu Geburt in einem Winkel des heiligen Stalls seine Notdurft zu verrichten. Mit einem solchen Scheißerchen müssen wir halt leben, das in jedem Paradies Mist macht. In allen Vorhöfen wird es voll, laut, schmutzig und beginnt zu stinken. Aus Paradies wird dort Hölle. Der Andrang bleibt, längst sind Unzählbare auf der Flucht unterwegs und kreuzen die Wege von Karawanen, die in umgekehrter Richtung wandern. Jeder vermutet seinen Sehnsuchtsort in lieblicher, einsamer Landschaft mit mildem Klima, guter Luft und klarem Wasser. Wer sein Juwel gefunden hat, will sich dort im Kreis seiner Lieben ansiedeln. Die nicht dazu gehören, mögen gefälligst verschwinden. Was anfangen mit denen, die auch im Garten Eden leben wollen, aber unerwünscht dort sind? Puristen möchten ihre Heimat und Familie verewigen und erträumen sich ein Eiland mit dicker Schale, die dem Weltuntergang trotzen soll. Mauern sorgen dafür, dass keiner hinein und heraus darf.

Alle Paradiese sind fragile Gebilde, die umkippen, sobald die Schlangen die Oberhand bekommen. Wir schleppen schweren Ballast mit uns. Heilige Lasten sollen bestimmen, wie wir leben. Auf ihren Podesten werden sie immer größer, und sie vertragen sich schlecht: Freiheit will Frieden verdrängen, Gleichheit wichtiger sein als Gerechtigkeit, Wahrheit Liebe bekämpfen, Sicherheit und Ordnung Glück kontrollieren. Solange wir diese Denkmäler brauchen, kann es auf Dauer keine Paradiese für uns geben.

* Aus Paradiese sind keine Heimat (Roman) – bs-Verlag Rostock 2017- ISBN 978-3-7481-0016-4

Published inProsa

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