Unsere Seniorengruppe „Hirnjogging“ lässt ihre Mitglieder auch immer mal von Ausflügen oder Urlauben berichten, die sie gemacht haben.
Wir treffen uns an jedem Donnertag. Die Leitung hat Frau Ziegenbein übernommen, die, wie ich finde, auch noch so aussieht wie sie heißt.
Heute berichtete Frau Ziegenbein selbst von einem Ausflug am 1. Advent zum Weihnachtsmarkt nach Annaberg-Buchholz. Das liegt gleich hinter Chemnitz im Erzgebirge, wo vor ein paar hundert Jahren Silber gefördert wurde.
Frau Ziegenbein besuchte auch die Kirche Sankt Annen und war von den dortigen Reliefs „Lebensalter“ ganz begeistert.
Auf der einen Seite in der Kirche sind zehn Frauen abgebildet, die erste zehn Jahre alt, die letzte 100 Jahre alt. Die Veränderung wurde alle zehn Jahre festgehalten. Und zu jedem Bild und Alter wurde noch ein Tier abgebildet.
Auf der anderen Seite in der Kirche ist das ebenso mit den Männern gemacht.
„Was meinen Sie denn: Welches Tier würden Sie aussuchen für einen Mann von sechzig Jahren?“
Die Männer der Gruppe empörten sich. Zuerst sollten die Frauenbilder besprochen werden.
Frau Ziegenbein und die Frauen hatten nichts dagegen.
„Mit Sechzig“, sagte Richard Beerenbeißer zögerlich, „ja, eine Taube ist, glaube ich, nicht richtig. Die Zeit ist wohl vorbei.“
„Na“, sagte Wilhelm Dörsingmann, „da kommt es mit einer Glucke schon eher hin.“
„Oder mit einer Eule“, grinste Friedrich Schlaftrinker.
„Dann kannst du auch gleich eine Fledermaus nehmen“, meinte Paul Trostbeutel.
„Vielleicht ist eine Elster das Richtige“, vermutete Heinz Tiefschneider, „von wegen Schmuck und so.“
Emil Heißbaum dachte an Singvögel: „Ich bin für eine Krähe oder Amsel.“
Doktor Pötter hatte lange überlegt: „Eine Gans könnte zutreffen.“
Die Frauen waren mit den ganzen Vögeln nicht so richtig einverstanden.
Doktor Pötter wiederholte: „Das kann nur eine Gans sein. Mit den Nachtigallen ist es doch wohl schon lange vorbei.“
Frau Ziegenbein: „Und warum gerade eine Gans?“
„Naja,“ meinte Doktor Pötter, „eine Gans ist doch ein schönes Tier. Sie ist niedlicher als Gössel und gibt einen guten Braten zu Weihnachten ab. Sie schnattert gerne mit anderen Gänsen, ist aber auch bissig, kennt die Gefahren und schlägt Alarm. Die ältere Frau wärmt mit ihrer Erfahrung die Kinder und Kindeskinder wie die Gans mit ihren Federn, die uns jede Nacht zudecken.“
„Ja, das klingt gut“, sagte Paul. „Als Braten, hat meine Großmutter gesagt, ist die Gans ein närrischer Vogel: Für eine Person ist das zuviel, für zwei zu wenig.“
„Mit den Federn und dem Bett hast du recht“, überlegte Emil. Vor den Gänsen muss man den Hut ziehen. Sie haben schon mehr Menschen kuriert als alle Doktoren zusammen.“
„Und sie haben Plattfüße wie die Menschen“, machte sich Heinz bemerkbar.
„Sehr schöne Gedanken“, lobte Frau Ziegenbein. „Eine Gans ist auch richtig. Na, wer sollte das wohl nicht heraus bekommen, wenn nicht unser Nervendoktor Pötter.“
„Was fällt Ihnen denn sonst noch ein, wenn sie Gänse und Menschen in Verbindung bringen?“
Nun riefen alle durcheinander.
„Wenn einer auf der Geige übt, heißt es: Die Wildgänse schreien.“
„Besser als gar nichts, sagte der Fuchs, und lag am Gänsestall.“
„Gänsewein ist der beste Wein.“
„Zwei Weiber und eine Gans machen zusammen schon einen Jahrmarkt aus.“
„Das ist eine schlechte Gans, die nicht zum Ganter geht.“
„Nun ist es genug“, sagte Frau Ziegenbein. „Oder hat noch einer einen ganz wichtigen Beitrag? Ja, Sie Herr Dörsingmann?“
„Ich habe noch ein Rätsel für Kinder: Auf welcher Seite hat die Gans die meisten Federn? Antwort: Auf der Außenseite.“
„Hm“, machte Frau Ziegenbein. Wir kommen nun zu den Männern mit sechzig. Welches Tier passt wohl dazu?“
„Ja“, fing Erna Leisefeder an, da fällt mir ein Esel ein.“
„Es kann auch ein Ochse sein“, meinte Gertrud Weinschäfer.
„Oder ein Bock“, überlegte Marie Steinschlaf. „Aber mit sechzig? Das ist wohl schon zu alt, jedenfalls für einen guten Bock.“
Emma Sauerfeldt konnte sich mit einem Fuchs anfreunden. Der ist klug, vorsichtig, aber auch hinterlistig und verschlagen. Er kann seine Kräfte richtig einteilen. „Also ein Fuchs.“
Ida Wurzelnass war abwägend. „Ein Fuchs ist nicht schlecht. Aber noch mit sechzig? Ich glaube, ein Wolf passt besser. In diesem Alter hat er es zu etwas gebracht. Und das verteidigt er mit Mut, Kraft und Klugheit. Er ist auch zu Geld gekommen, wenn die Inflation ihm das nicht wieder nimmt. Es stellt sich natürlich auch die Frage, ob er abgeben kann von dem, was er besitzt. Er ist nicht mehr so bissig wie vor zwanzig Jahren, aber noch nicht so angepasst wie ein Hund.“
Frau Ziegenbein: „Ja, Wolf ist richtig. Was fällt Ihnen dazu noch so ein?“
„Wenn Neumond ist, hat der Wolf den Mond aufgefressen.“
„Wo der Wolf liegt, dort beißt er nicht.“
„Auch, wenn du die Schafe gezählt hast, beißt der Wolf sie trotzdem.“
„Wer sich zum Schaf macht, den frisst der Wolf.“
„Die alten Propheten sind tot. Und die neuen frisst der Wolf.“
„Beim Ringwechsel soll der Mann still zu sich sagen: Ich der Wolf, du das Schaf. Dann führt er das Regiment.“
„Wenn man sich einen Wolf gelaufen hat, soll man sich an der Stelle einen Salzhering durchziehen.“
Das war nun der Punkt, wo Frau Ziegenbein sich wieder einklinkte.
„Da haben wir doch allerhand Gedanken zusammen bekommen. Und das waren erst die Tiere für die Sechzigjährigen. Wir könnten uns also, wenn wir wollten und die Zeit dazu hätten, glatt zehn Stunden mit dem Thema befassen.“
Ida fragte: „Welches Tier ist denn da in der Kirche für die Siebzigjährigen vorgesehen?“
„Ja, meine Damen“, sagte Frau Ziegenbein und holte tief Luft, „das ist für die Frauen ein Geier.“
Die Männer riefen im Chor: „Und für uns?“
„Für Sie ist das ein Hund.“
„Und für achtzig?
„Eule und Katze“.
„Und für neunzig?“
„Fledermaus und Esel.“
„Und für hundert?“
„Da gibt es keinen Unterschied mehr: Sensenmann für Frau und Mann. Bei hundert sind wir am Ende angelangt.“
Doktor Pötter murmelte: „Oder am Anfang.“
Jürgen Rogge, Dr. sc. med., geb.
1940 im Altkreis Hagenow/Mecklenburg,
Abitur in Ludwigslust, Medizinstudium
an der Humboldt-Universität
zu Berlin, Facharztausbildung Neurologie/
Psychiatrie in Berlin, 1970
Promotion A, 1988 Promotion B (Habilitation),
tätig in Wismar, Leipzig
und von 1991 bis 2005 in eigener
Niederlassung in Perleberg. Jetzt ambulant tätiger Gutachter.
Verheiratet, drei Kinder. Neben Veröffentlichungen
(2010 „Das Narrenflugzeug“) in hochdeutscher Sprache
auch Herausgabe von Büchern in Plattdeutsch („Geschichten
ut Kauhstörp“, „Brägenjogging“).