Über das Schriftbild der Ärzte – vornehmlich traditionelle Rezepte und Unterschriften betreffend – gehen die Meinungen auch wohlmeinender Betrachter nicht weit auseinander. Den Medizinern wird allgemein eine schlechte und vor allem unleserliche Handschrift attestiert. Das hat Ursachen in der Hatz des beruflichen Alltags, was das erwähnte Urteil allerdings auch nicht mildert. Doch es gibt rühmliche Ausnahmen.
Mein verehrter klinischer Lehrer Professor August Sundermann – weit bekannter und strenger Ordinarius für Innere Medizin an Erfurts nunmehr erfolgreich beerdigter Medizinischer Akademie, Erzieher vieler Studenten und Ärzte – hatte selbst ein bemerkenswert schönes und deutliches Schriftbild. Zusätzlich fesselte er in seinem Kolleg und bei wissenschaftlichen Vorträgen mit wohlverständlicher Artikulation der Sätze. Zu Ärzten und Studenten, die handschriftliche Texte oder ihre Unterschriften nicht lesbar oder in abstrakter Form zu Papier brachten, sagte er ironisch: „Schämen Sie sich Ihres Namens, dass Sie ihn so unlesbar entstellen, oder können Sie nicht richtig schreiben?“
Im Übrigen forderte er – wie jeder verantwortungsbewusste Lehrer – generell für alle und von allen eine lesbare Schrift und verständliche Aussprache. „Denn Sprache und Schrift sollen zur Verständigung der Menschen dienen und nicht zur Verschleierung von Identität, Gedanken und Problemen!“
Womit er nicht nur die Mediziner in die Pflicht nahm. Und, recht überlegt, scheint das Sundermannsche Credo immer mehr an Bedeutung zu gewinnen.
Aus Kardach, Medizin tropfenweise, Peter-Stein-Verlag, Weimar.
Copyright Dr. Siegbert Kardach

Dr. med. Siegbert Kardach wurde 1940 in Breslau
geboren. Schulzeit in Sömmerda, Thüringen. 1959
vorklinische Semester Humanmedizin an der Humboldt-
Universität Berlin. 1962 klinische Ausbildung
an der Medizinischen Akademie Erfurt. 1966
Facharztausbildung Innere Medizin in Erfurt. Ab
1970 ärztlicher Leiter für spezialisierte medizinische
Betreuung im Bezirk Erfurt und Internist an
der Poliklinik Süd. Von 1991 bis 2005 niedergelassener
Internist in Erfurt. Siegbert Kardach lebt in
Erfurt.
Siegbert Kardach ist Mitglied im Bundesverband der Deutschsprachigen
Schriftstellerärzte (BDSÄ) und veröffentlicht zum dritten Mal Texte in diesem
Almanach.
Veröffentlichungen in Tagespresse und Rundfunk. 1997 erschien die Aphorismensammlung
„Befunde und Diagnosen. Fehldiagnosen inbegriffen“. 2003
folgte der Aphorismenband „Befindlichkeitsstörungen“ und 2009 der Band
„Medizin tropfenweise“, der 2010 mit dem Prof. Horst-Joachim-Rheindorf-
Literaturpreis ausgezeichnet wurde.