Überraschungs-Brunch in Aschwarden
Dieses sehr, sehr gute Gefühl von Weite bekommt man in der Marsch.
Im Juni, wenn die Wiesen tief grün sind und schon zum ersten Mal gemäht, wenn dieses Land, von Gräben durchzogen, mit einem hohen blauen Himmel in der Sonne im Wind liegt.
Die Wesermarsch zwischen Meyenburg und Aschwarden ist besonders eben, platt und schön grün. Die Gräben bilden ein geometrisches Geflecht, das sich in den Aschwardener Flutgraben und das alte Aschwardener Siel drainiert.
Über den Meyenburger Damm geht es auf einer kleinen befestigten Straße, die Treudel heißt, am Rittergut von von Wersebe vorbei nach Westen. Auf dem Viehsteig gelangt man nach fünf Kilometern durch ganz plattes Sietland in das Örtchen Bruch. Sietland ist der Teil der Marsch, in dem weniger Sediment zu finden ist, weil weiter weg vom Wasser. Es ist besonders tief gelegen und muss ständig entwässert werden.
Und dann kommt schon Aschwarden.
Hier waren wir schon mal, am Mühlentag. Aschwarden hat eine historische Mühle. Dort gab es am besagten Mühlentag, das war Pfingstmontag, schon gegen 11 Uhr Bratwurst und Bier, was wir sehr zünftig fanden.
Heute hat das Mühlencafé wieder geöffnet.
Kaffee, Kuchen, Kaltgetränke.
Wir gucken mal.
Drinnen ein Traum von Buffet: Schinken mit Melone, Roastbeef, Käse, Fisch.
Man sieht uns unsere Verwunderung an.
Einmal im Jahr werden die Mitarbeiter des Mühlencafés zum Frühstück eingeladen. Das war heute.
Man freut sich sogar, dass wir uns gegen einen kleinen Obolus beteiligen möchten. Wie nett die Leute hier sind, wie entspannt.
Wahrscheinlich haben die auch dieses sehr, sehr gute Gefühl von Weite.
Wir sitzen in der Sonne und speisen, draußen, unter dem hohen Himmel.
Nach dem opulenten Überraschungsmenue geht es auf dem Deich weiter nach Norden. Der Blick geht weit über das Land.
Hauke Haien, der Schimmelreiter, hätte hier in der Wesermarsch seine Freude gehabt. Wir hätten ihn auch beim Boßeln gewinnen lassen.
Zurück durch das Marschland an den Geestrand, mit dem Wind, der wohl mit genau 20 km/h aus Westen kommt. Der scheinbare Wind auf dem Rad ist Null. Das Rad fährt wie von selbst. Man möchte immer so weiterfahren.
Und hier, ausgerechnet hier, sollen Windräder aufgestellt werden.
Jahrgang 1957, geboren in Braunschweig. Nach der Schulzeit habe ich in Kiel Medizin studiert und mich in Norddeutschland, insbesondere in Schleswig-Holstein, richtig verliebt. Norddeutschland bin ich treu geblieben – meine Facharztausbildungen habe ich in Lübeck absolviert, dann bin ich als Chef einer Chirurgischen Klinik nach Bremen gegangen. Seit über 15 Jahren lebe ich mit meiner Familie im kleinsten Bundesland. Wissenschaftlich habe ich über Lymphome gearbeitet und damit 1983 promoviert. Habilitiert habe ich mich 1991 in Lübeck über die Zertrümmerung von Gallensteinen. Seit 1996 Professor für Chirurgie. Ich arbeite hauptsächlich auf dem Gebiet der Gefäßmedizin und leite seit 2003 ein Gefäßzentrum an dem Klinikum Bremen-Nord
Neben wissenschaftlichen Publikationen schreibe ich kulturkritische Essays, Satire, Prosa, Geschichten über Norddeutschland, insbeson-dere über unsere nördlichste friesische Insel. Mehrmals habe ich mit Bremer Ärzten in der hiesigen Stadtbibliothek vorgetragen, schließlich ist die Medizin eines der Lieblingsmotive in der Literatur.
Warum ich schreibe? Am Grab von Kurt Tucholsky in Schweden steht eine Inschrift aus dem „Sudelbuch“, gestiftet vom Deutschen Bot-schafter in Schweden anlässlich des 75. Todestages des Publizisten und Satirikers: „Eine Treppe: Sprechen, Schreiben, Schweigen“.
Auch ich glaube an eine Hierarchie der Strukturiertheit des Denkens. Die unstrukturierteste Art des Denkens ist das Träumen. Hierbei geht alles durcheinander: Erlebtes, Erwünschtes, Geschehenes, Befürchtetes. Das Denken im Wachzustand ist demgegenüber realitätsbezogen, dennoch sprunghaft, situativ, reaktiv und den Eindrücken der Sinnesorgane folgend. Eine Hierarchiestufe höher steht das Sprechen. Sprechen erfordert eine Ordnung der Gedanken und eine Unterscheidung in Wichtiges und Unwichtiges. Gesprochenes kann aber nicht rückgängig gemacht werden. Gesagt ist gesagt.
Schreiben dagegen ermöglicht die Ordnung von Gedanken in weit hö-herem Maße: Sätze können umgestellt, verschachtelt, getrennt oder verbunden werden. Schwierige Gedanken können durch Bilder illus-triert werden, wichtige durch Fußnoten untermauert. Schreiben ist eine Investition.