Versöhnliches.
Aus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts.
Mein Vater war wieder im Amt, hielt Schule, gab Nachhilfe-Unterricht und saß in einer Menge Gremien. Die emigrierten Klassen- und Studienkameraden hatten ihn nicht vergessen; auch seine ausgewanderten Schülerinnen hielten ihm die Treue und besuchten ihn, wenn sie der Weg wieder einmal in dieses Deutschland führte. Aus Amsterdam kamen Päckchen mit Dingen, die es bei uns noch nicht so ohne Weiteres gab, Sonnenbrillen, Taschenschirme, Lederhandschuhe. Aus Brasilien trafen nahrhafte Dinge ein, Kaffee natürlich, einmal ein Kalbsnierenbraten – wie der es unangefochten zu uns geschafft hat weiß ich nicht mehr, aber daran erinnere ich mich gut, dass er wunderbar geschmeckt hat und uns glänzend bekommen ist.
Die „alde Mädcher“, wie man in Darmstadt sagte, übertrugen ihre Anhänglichkeit auch auf mich, die Tochter, und deren Freundinnen und Partner. Petúr („Peter der Fünf- vor- Zwölfte“) war völlig unbefangen und als Ungar an der Wiedergutmachungs-Problematik nicht ganz so nah dran. Daher folgte er ohne Weiteres den Aufforderungen zu einem Gegenbesuch und ebnete mir den Weg. So konnte auch ich zusammen mit einer Freundin die Einladung zum Übernachtungsbesuch annehmen. Es ging uns sehr gut in Baltimore. Frau Gertrud hatte ihr Deutsch nie vernachlässigt, führte uns zu ihren Kindern und in der Stadt herum und instruierte uns, wie wir unsere Ziele am besten erreichen konnten; vor allem genossen wir das großartige archäologische Museum.
Mit ihrem Mann war es etwas schwieriger. Er hatte Vorbehalte, bevorzugte die englische Sprache und war zwar höflich, aber distanziert. Glücklicherweise erfuhren wir, dass unsere Gastgeberin sich über hitzefeste Teegläser freuen würde, die sie jenseits des großen Teiches nicht bekam. So konnten wir ein wenig Dank abstatten. Gertruds Mann sammelte Briefmarken. Darum kümmerte sich meine Freundin, die auch den Versand übernahm, umso lieber, als mit ihrem geläufigen Amerikanisch schon in Baltimore ein guter Kontakt zum Hausherrn entstanden war. Es gab auch eine Geschichte von der Rettung einer Schulkameradin durch ihre Mutter, die jener während eines konspirativen Treffens eine Adresse zugeflüstert hatte. Das geheime Gespräch muss ungefähr dort stattgefunden haben, wo sich in unserer kleinen Stadt jetzt die Stolpersteine befinden. Die Kameradin hat es rechtzeitig geschafft.
Petúrs Mutter besaß ungarische und polnische Wurzeln, war aber in Belgien aufgewachsen, wo sie während des Krieges fast ihre ganze Ersatzfamilie verlor. Einer deutschen Schwiegertochter gegenüber hätte sie leicht Ressentiments hegen können, doch das lag ihr fern. Sie sprach mit mir ein leicht flämisch gesprenkeltes Deutsch, bis ich selbst genügend Ungarisch gelernt hatte.
Dr. med. Dr. phil. Waltrud Wamser-Krasznai, geb. 1939 in Darmstadt. Studium der Medizin in Freiburg und Marburg, 1965 Promotion zum Dr. med. Kassenarztpraxis als Fachärztin für Orthopädie 1974-2007, anschließend privatärztlich tätig.
1996 Magister artium in Gießen (Klassische Archäologie, Alte Geschichte).
2003 Promotion zum Dr. phil. Freie wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Professur für Klassische Archäologie der JLU Gießen.
Bibliographie. Auswahl:
2000: Frauenraubszene. Eine Kalksteingruppe aus Tamassos, in: Periplus. Festschr. Hans-Günter Buchholz
2003: Drei Terrakottastatuetten, in: Die Akropolis von Perge I (Mainz 2003)
2006: Irdische Füße olympischer Götter (mit M. Hundeiker, M. Recke)
2007: Antike Weihgeschenke im Blickpunkt der Andrologie, in: Kleine Kulturgeschichte der Haut, 100-103
2007: Tempelknaben in Tamassos (mit H.-G. Buchholz) RDAC 2007, 229-256
2008: Kultische Anatomie (mit M. Recke). Katalog und Broschüre zur Ausstellung im Medizinhistorischen Museum Ingolstadt
2011: Die Gicht! Eine Hure ist sie, eine verfluchte Hure! Die Gelenkleiden des Hermann Hesse, Orthopädie & Rheuma
2012: Wie man sich bettet…Lager und Lagern in antiken Heil-Heiligtümern, Les études classiques 80, 2012, 55-72
2012-2013: Auf schmalem Pfad (Minerva Verlag Budapest)
2013: Für Götter gelagert. Studien zu Typen und Deutung Tarentiner Symposiasten (Minerva Verlag Budapest)
2015: Fließende Grenzen (Minerva Verlag Budapest)
2015: Aphrodite auf der Akropolis von Perge? (mit M. Recke) in: Figurines de terre cuite en Méditerranée grecque et romaine (Villeneuve d’Ascq 2015) 547-553
2016: Beschwingte Füße (Minerva-Verlag Budapest)
2017: Streufunde. Aus Archäologie und Dichtung (Weinmann Filderstadt)
2017: Katalog ausgewählter tier- und menschengestaltiger Figurinen, in: Die Akropolis von Perge (Antalya 2017) 427-454
2017: Terrakotta- Plaketten mit weiblichen Figuren („Astarteplaketten“) aus Tamassos, RDAC 2011-12 (Nikosia 2017) 513-545
2018: Scholien und Spolien (Weinmann Filderstadt)
2018: Mäander (Weinmann Filderstadt)
2019: Alpha-Götter 19.12.2019 (Weinmann Filderstadt)
2021: Füllhorn (Weinmann Filderstadt 2021)
2023: Nachlese (Minerva-Verlag Budapest)
2024: Asklepiaden (Minerva-Verlag Budapest)