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Warum ich gegen das Visualisieren bin (Helga Thomas)

Ein Beitrag von Dr. Helga Thomas zum Thema „Der Roboter im Menschen- der Mensch im Roboter“  beim BDSÄ-Kongress in Wismar 2018

Warum ich gegen das Visualisieren bin
Oder: Spiritueller Machtmissbrauch

Heute wurde mir ein Gedanke geschenkt, einfach so, ich weiß nicht, von wem, er kam einfach angeflogen, wie ein Frühlingsvogel im Morgendämmern.  Ich las im Neuen Testament bei Matthäus (im Zusammenhang mit der Versuchung): „Da entrückte ihn der Widersacher in die heilige Stadt und stellte ihn auf die Zinne des Tempels und sprach: Bist du der Sohn Gottes, so stürze dich in die Tiefe. Denn es heißt in der Schrift:“Seinen Engeln hat er dich anbefohlen, und sie werden dich auf ihren Händen tragen, so dass dein Fuß an keinen Stein stößt.“ Jesus sprach: Es heißt aber auch:“Du sollst die göttliche Macht, die dich führt, nicht deiner Willkür dienstbar machen.“

Wie oft hätte ich diese Worte doch schon als Entgegnung gebrauchen können! Wieso sind sie mir nie eingefallen? Ich kenne den Text doch seit meiner Kindheit! Es geht z.B. um Parkplatzsuche, d.h. eben nicht Suche, der Parkplatz wird auf geistigem Wege einfach bestellt. Man steigt ins Auto und sagt seinemEngel, dass man da und da um die und die Zeit einen Parkplatz braucht. Der Fachausdruck dafür heisst: VISUALISIEREN! Man stellt sich möglichst konkret seinen Fahrweg vor bis zu dem Ort, wo einen dann ein leerer Parkplatz erwartet. Das Visualisieren kenne ich, aber nicht, weil ich mir einen Parkplatz bestellen will, sondern damit ich ja nicht vergesse, wohin ich jetzt fahren soll bzw will. Ich und mein Auto sind Gewohnheitstiere, wir fahren am liebsten den vertrauten, gewohnten Weg…. Aber leider führen nicht alle Wege nach Rom, bzw dorthin, wo ich erwartet werde.

Mehrere Freunde, Bekannte, auch einige meiner Patienten schwören auf die Methode. Mir gefällt sie nicht (auch wenn ich gerne das Parkplatzsuchen vermeiden möchte), es ist mir zu manipulativ, zu egoistisch, ich empfinde es als spirituellen Machtmissbrauch!

Ich entschloss mich, darüber zu schreiben (dann kann ich nächstes Mal, statt blöd und verstummt dazusitzen oder stammelnd nach Worten zu suchen, einfach mein kleines Essay überreichem). Da hatte ich ein Aha! Das wäre doch ein Text für Dietrich Weller, für  den diesjährigen BDSÄ-Kongress. Die Lesung, die er moderiert, trägt den Titel: „Der Mensch im Roboter, der Roboter im Menschen.“

OK, das Thema betraf Roboter, nicht Schutzengel oder Heinzelmännchen und doch… Was wissen wir mit unserem ach so klaren, gut geschulten, naturwissenschaftlichen Verstand, welche Wesen in unseren Maschinen wirken!

Doch zurück zur Parkplatzsuche. Mein Engel ist doch kein Roboter, der dazu da ist, meine Wünsche zu erfüllen? Er ist auch kein Befehlsempfänger, ja nicht einmal ein Untergebener oder Angestellter, der dafür bezahlt wird, dass er die von mir erteilten Aufträge erfüllt! Allenfalls ein guter Freund… Ja, ein guter Freund, das ist mein Engel, deshalb sage ich vielleicht – wenn es ganz wichtig ist, auch objektiv – bitte hilf mir, schnell einen Parkplatz zu finden ( es muss ja nicht unbedingt mein Engel sein, es kann auch ein genius loci sein oder sonst ein Elementarwesen von dem Ort). Ganz gleich, wer mir nun schlussendlich hilft, Höflichkeit und Dankbarkeit sind doch eigentlich nie fehl am Platz. Höchstens dann, wenn sie gespielt und heuchlerisch sind.

Was anderes scheint mir viel wichtiger: Wenn werden wir zu einem Roboter? Das ist unbedingt das Thema, aber… ich merke, ich möchte es aufschieben, es wird zu viel. Nicht unbedingt umfangmässig, aber gefühlsmässig. Der Preis für das Roboter-Sein ist zu hoch: das Abspalten der eigenen Gefühle, sich selbst und

die Umwelt belügen. Mir ist eine Geschichte eingefallen… vielleicht sprenge ich jetzt den Rahmen der Lesung und mache einen Kompromissvorschlag: wenn ich mehr Zeit zur Verfügung habe als acht Minuten, dann werde ich diese Geschichte erzählen. Es fällt mir auch leichter, etwas Grausames rasch zu berichten und nicht durch meine Worte, die ich aufschreibe noch zu fixieren. Es handelt sich um ein Ergebnis der frühkindlichen Erziehung auf dem Boden der Naziideologie.

Es ist gut, das ich mich mit dem Bericht jetzt nicht aufgehalten habe, denn ich muss unbedingt eine Fortsetzung erzählen von einer meiner Parkplatzbestellenden Patientinnen. Ihr sind selbst Zweifel gekommen,sie ist jetzt nicht mehr so fraglos überzeugt von ihrer Methode. Und zwar kam das durch folgende Ereignisse:

Als sie nach der Therapiesitzung zu ihrem (natürlich vorher bestellten) Parkplatz kam, hatte sie einen Strafzettel. In ihrer anmassenden selbstverständlichen von sich überzeugten Haltung war sie auf den (einzigen) freien Parkplatz gefahren, ohne das Hinweisschild zu beachten, dass für einen bestimmten Zeitraum die Dauer der Parkplatzbenutzung geändert war! Meine sanfte Nachfrage, ob ihr das nicht zu denken gäbe, verneinte sie, lachend und mit energischem Kopfschüttelm: Meine Unaufmerksamkeit hat doch nichts mit meinem Engel zu tun. Stimmt eigentlich, dachte ich und schwieg. Diesmal rief sie mich nach der Stunde weinend an, ob sie noch mal kommen könne, sie muss die Polizei anrufen und beim Handy ist der Akku leer. Ich war erschrocken. Sie hatte sich – wieder der einzige freie Parkplatz – unter einen Baum gestellt und bei der kurzfristig auftretenden Sturmböe war ein mehr als armdicker Ast auf ihr Autodach gefallen… Totalschaden, zumindest bei der Karosserie. Dieses Erlebnis verursachte eine Wende in der therapeutischen Arbeit… und während ich das jetzt schreibend erzähle, denke ich: Vielleicht hatte da ihr Engel seine Finger oder Flügel im Spiel gehabt!

 

Copyright Dr. Helga Thomas

Published inProsa

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