Ich habe etwas ausgepackt
(ich bin gerade am Umziehen)
ich nahm es in die Hand
eine erdbraune Muschel
eine von denen
aus unserer Kinderzeit
wenn du sie ans Ohr hältst
(auch fern von jeglicher Küste)
kannst du das Rauschen des Meeres hören …
Später erklärten mir kluge Menschen:
du hörst das Rauschen
deines eigenen Blutes
sein Echo
noch später dachte ich
(inzwischen selber klug geworden):
Ist das nicht dasselbe?
zwei Bilder
eines einzigen Geschehens
Ich hielt die Muschel
wie als Kind
an mein Ohr
ich hörte kein Rauschen
aber da …
ein Tropfen
und wieder
und wieder
stetig fiel er nieder
In welchen Brunnen
oder See
oder …
fiel er?
Da begriff ich:
ich hörte mein Herz
das Echo des eigenen Herzschlags
Aber ist das nicht dasselbe:
das Tropfen des Lebenswassers
und der Schlag deines Herzens?
Nun sah ich
auf der glatten braunen Steinfläche
eine Ritzzeichnung
Tiere der Wüste
der Savanne
unter einem Baum
(an einem Wasserloch?)
sicher kannte keines ein Meer
eine Muschel
doch auch ihr Herz
schlägt wie das Tropfen
des Lebenswassers
Die Sehnsucht des Künstlers
vereinte
die Tiere
aus der Weite der Wüste
und die Muschel
aus der Tiefe des Meeres
Nun spürte ich:
der Schmerz des Umzugs
(körperlich)
war vergangen
wenigstens für kurze Zeit
Wer hat mir
die Erkenntnis geschenkt:
lausch auf das Lied deiner Sehnsucht
hörbar werdend
im tropfenden Wasser des Lebens
im schlagenden Herzen
Vertrau
dem Strom des Lebens
er trägt dich zum Ziel
Copyright Dr. Helga Thomas

<h5>Dr. phil. Helga Thomas. Geboren
am 31. Januar 1943 in Berlin.
Ausbildung und Arbeit als Analytikerin, Psychotherapeutin.
1976 Diplom am C. G. Jung-Institut. Für meinen Beruf war
die Erkenntnissuche wichtig. Mit 15 entdeckte ich nach der
Flucht aus Ostberlin das Briefe- und Tagebuch-Schreiben,
und mit 18 Jahren kam der Durchbruch zur Lyrik, meiner
eigentlichen Domäne. Vor meiner Ausbildung am Jung-Institut hatte ich Slavistik
und Germanistik studiert, und zu diesem Zweck hatte
ich noch zur Zeit des eisernen Vorhangs ein Jahr in Sofia
studiert, um Material für meine Doktorarbeit zu sammeln.
Seit 2003 bin ich mindestens zweimal im Jahr für längere
Zeit in Sofia, um dort Analysen und Supervisionen,
Seminare und Vorträge durchzuführen. Es ist „stimmig“,
dass in Bulgarien ein Teil meiner Bücher jetzt erschienen
ist, die Lyrik zum Teil zweisprachig.
Ich empfinde meine beiden Kinder als das Zentrum meines Lebens,
auch wenn sie inzwischen erwachsen sind (Tochter, geboren
1978, Heilpädagogin, Sohn, geboren 1979, Mediziner),
und meine beiden Enkeltöchter Luisa, geboren 2007 und
Mathilda, geboren 2009. Immer ist ein Hund an meiner
Seite.
Mein ganzes Leben habe ich geschrieben, aber heute
weiß ich, dass 1994 durch das dichterische Aufarbeiten
eines Traumas eine Blockade meines Schaffens gelöst
wurde. Mein Beruf kommt also mir selbst zugute in meinem
dichterischen Schaffen, und mein dichterisches
Schaffen hilft mir in meinen Beruf.
Meine mir wichtigsten Bücher:
Emotionen. Gedichte, Tegra Verlag, Sursee 2000. – Dunkelblüten
– Lichtsamen. Gedichte, Verlag CH. Möllemann,
Borchen 2003. – Warte, bis die Seerose blüht, Roman,
Verlag CH. Möllemann, Borchen, 2006. – Halt inne. Blick in
eine andere Richtung. Gedichte, Sofia 2007. – Lausch auf
den Atem verborgenen Lebens. Gedichte für Nelly Sachs
und Paul Celan, Borchen 2007 (hierfür erhielt ich 2008 den
Horst Joachim Rheindorf-Preis des Bundes Deutscher
Schriftstellerärzte). – Geschichten (m)einer Kindheit. Erzählungen,
Sursee 2007. – Lichträume, Räume der Liebe
und des Lebens, bulgarisch-deutsch, Sofia 2008. Urformen,
bulgarisch-deutsch, Gedichte, Sofia 2009. – Gesicht
im Fenster, Gedichte, Wien 2011.
Die Bücher sind zu beziehen über: Dr. Helga Thomas, Hammerstr. 10, 79540 Lörrach, und beim Verlag.<7h5>