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Die Bremer Stadtmusikanten (Lieselotte Riedel)

Zu seinem Esel sprach der Bauer:
„Ich sag dir offen, wie es ist,
du bist nicht wert, mein alter Grauer,
das Heu, das du tagtäglich frisst!“

Der Esel hörte es mit Schrecken,
er dachte an so manches Jahr,
als er mit korngefüllten Säcken
auf seinem Weg zur Mühle war.

Das ist der Lohn für Müh und Plage,
wie einen Hund jagt man mich fort.
Nun muss ich auf die alten Tage
noch suchen einen andern Ort!

Doch hilft kein Jammern und kein Grämen,
das bringt mich nur um den Verstand:
Ich mach mich auf und geh nach Bremen,
verding mich dort als Musikant.

Warum, so wird sich mancher fragen,
warum musst es denn Bremen sein?
Ich weiß es nicht, ich kann nur sagen,
dem Esel fiel nichts Bessres ein.

Und die Idee, auf die er baute,
die klang für  Menschenohren schlimm:
Er wollte schlagen dort die Laute,
so steht es bei den Brüdern Grimm.

Ein alter Jagdhund lag am Wege,
den ebenfalls sein Herr verstieß,
weil er zu müde und zu träge
das edle Wild entkommen ließ.

„Kopf hoch!“  So sprach der Esel weise,
als er den Hund in Tränen fand:
„Komm doch mit mir auf eine Reise,
ich werd  in Bremen Musikant.“

Sie sahn an einem schatt‘gen Platze
zwei Tiere noch, man glaubt es kaum,
die arme ausgesetzte Katze
und dann den Hahn auf seinem Baum.

„Kommt mit und jammert hier nicht länger!“,
schlug ihnen gleich der Esel vor,
wir brauchen in der Band zwei Sänger;
Sopran fehlt noch und auch Tenor.“

Die Sonne war schon längst im Sinken,
die Pfoten, Hufe müd und matt,
und immer noch war da kein Blinken
von Lichtern einer großen Stadt.

Ein Jogger kam, der ganz ermattet
sich setzte auf den nächsten Stein,
der Esel fragte: „Ihr gestattet,
könnt dies der Weg nach Bremen sein?“

Der Jogger wischte mit dem Tuche
Sich ab das feuchte Angesicht:
„Nach Bremen seid ihr auf der Suche,
das schafft ihr heute Abend nicht.

Ein Tierheim gibt es hier am Orte
für arme Streuner, so wie ihr,
klopft dort mal höflich an die Pforte
und fragt nach einem Nachtquartier!“

Sie fanden schon das Tor verschlossen,
jedoch der Pförtner war noch wach.
„Geht weiter!“, sagte er verdrossen“,
wir sind schon voll bis unters Dach!“

Im Wald an einem trocknen Platze,
da legten sich ins weiche Gras
der Hund und auch die müde Katze,
dieweil der Hahn im Baume saß.

„Ich bleibe wach und werd dich rufen“,
schrie er dem Esel zu, der bald
lostrabte und auf müden Hufen
durchforstete den finstern Wald.

Er hatte fernes Licht gesehen,
vielleicht war‘s auch ein Feuerschein,
es konnten Menschen, Zwerge, Feen
und schlimmstenfalls auch Räuber sein.

Der Hahn da oben im Geäste
Jetzt mit dem Esel leise sprach:
„Ein Häuschen ist’s, es ist das Beste,
ich flieg dorthin und sehe nach.“

Es ist bekannt seit alten Zeiten:
ein Hahn verbringt die Nacht im Stall,
doch hier, das lässt sich nicht bestreiten,
lag vor ein echter Sonderfall.

Wer glaubt, er habe da gefunden
nur eine wilde Räuberschar,
dem sagen wir es unumwunden:
Was dort bei Grimm steht, ist nicht wahr.

Er sah nur ärmliche Gestalten
bei einem kargen Abendbrot
des Tages erste Mahlzeit halten.
Das glich zu sehr der eignen Not.

Der Esel wartete mit Bangen
Auf seines Boten Wiederkehr.
War er von Räubern abgefangen
Und vorbereitet zum Verzehr?

Dann rüttelte ein Sturm die Gipfel,
ein Ast verfehlte ihn nur knapp,
und durch der Bäume hohe Wipfel
flog jetzt der Hahn zu ihm herab.

„Ich dachte schon, dass man dich köpfte“,
erleichtert sah der Esel aus,
der Hahn sprach, als er Atem schöpfte:
„Das ist fürwahr kein Räuberhaus!“

„Ich denk, wir sollten höflich bitten
um einen Platz am warmen Herd,
und sind wir dort nicht wohlgelitten,
so ist es den Versuch doch wert.“

„Nur Mut!“, so sprach der Esel weise
und musterte die künft’ge Band
„ich glaub in unserm Künstlerkreise,
da gibt es bald ein Happy- End.“

Auf leisen Pfoten, Tatzen, Krallen
so pirschten sie ans Haus sich ran,
sie hörten Lärm und Lachen schallen,
man stimmte grad ein Trinklied an.

Es war, als ob der Hahn sich scheute,
den andern offen zu gestehn:
„Das sind sie nicht, die armen Leute,
die ich durch’s Fenster hab gesehn.“

„Wir müssen trotzdem danach schauen“,
so sprach der Esel mit Bedacht,
„wir werden eine Leiter bauen,
ich zeige euch, wie es gemacht.“

Er musst die müden Glieder bücken,
denn schließlich war er Untermann,
dann sprangen schnell ihm auf den Rücken
der Hund, die Katze und der Hahn.

Und so zu viert am dunklen Fenster,
da boten sie ein schaurig Bild,
ein Räuber schrie: „Dort sind Gespenster!“
Die Haare sträubten sich ihm wild.

Ein andrer rief: „Tod und Verderben!
Wir müssen fort, so schnell es geht!“
Da ging das Fensterglas in Scherben,
eh nur der Hahn einmal gekräht.

Getrieben von Gewissenslasten
flohn jetzt die Räuber in den Wald;
es war ein Rennen, Laufen, Hasten
nach einem sichern Aufenthalt.

Dass dann die Räuber wiederkehrten,
dazu noch in derselben Nacht,
das haben sich die sehr gelehrten
Gebrüder Grimm nur ausgedacht.

Doch andre Leute kamen wieder,
die jüngst der Hahn durchs Fenster sah.
Sie stiegen vom Geäst hernieder
von einem Baume, der ganz nah.

Die Tiere und die fremden Gäste,
die ausgestanden manche Qual,
verspeisten hungrig nun die Reste,
die übrig war‘n vom Räubermahl.

Dann rückten näher sie zusammen,
das Feuer ward neu angefacht
und sahen heiter in die Flammen,
vergessen war der Schreck der Nacht.

Mit ernster Miene sprach der Esel:
„Welch guter Platz für Mensch und Tier!
Was solln uns Hameln, Bremen, Wesel?
Ich schlage vor, wir bleiben hier.“

Doch hier ließ sich der Hund vernehmen:
„Im Ganzen stimm‘ ich überein,
doch vorher geh ich noch nach Bremen
und heb am Denkmal dort ein Bein.“

 

Copyright Dr. Lieselotte Riedel

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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