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Wennemann und Aberach – eine Gedichtserie (Eberhard Grundmann)

Wennemann und Aberach

Wennemann und Aberach
wohnten schon vor allen Zeiten
immer unterm selben Dach
zu dem Behufe, sich zu streiten.

Soviel der beiden auch ein jeder
der Thesen schmiedet wohl zu Hauf –
der andre spießt mit spitzer Feder
sie durch die Antithese auf.

 

Vorstellung

Das Jahr dreizehn haben sie erkoren,
im Jahr dreizehn wurden sie geboren,
Zwillingsbrüder zwischen Wenn und Ach –
es sind Wennemann und Aberach.

Beide sind, ich will es hier erklären,
etwa mittleren bis ungefähren
Alters, und zwar ab principio,
und das bleibt auch bis auf Weitres so.

Sie durchleben alles, was banal,
stellvertretend sowie integral,
mal als Narr und andermal als Held
immer im polaren Spannungsfeld.

Widersprüche stricken sie wie Strümpfe,
und sie waten damit durch die Sümpfe
unserer Gefühle und Gedanken
jenseits von Tabus und ohne Schranken.

Sie erkunden für uns das Gelände,
welches wir dann selber ganz behände
sichern Schritts durchschreiten ohne Wanken –
dafür dürfen wir den Brüdern danken.

  

Wanderung

Wennemann und Aberach
wanderten von Hohenbrumm
durchs Ödental nach Andernach.
Dort wussten sie nicht mehr, warum.

Das war insofern sehr fatal,
als sie den Heimweg nicht mehr fanden,
denn weder gibt es Ödental
noch Hohenbrumm in diesen Landen.

 

Neue Tüte

Aberach ist tief betrübt
ob der Kritik,
die er geübt
an Wennemannes krausen
jüngsten Flausen.

Jener hatte ausgeheckt,
wie Recycling man bezweckt
mit neuen Tütenmoden
ohne Boden.

An der neuen Ladenkasse
kreuzt eine ganz spezielle Trasse
mit einer eignen Spur
der Müllabfuhr.

Durch die unten offne Tüte,
so will es die Gedankenblüte,
fällt der ganze Tand
auf ein Band.

So wird, was man sowieso
nicht brauchte, statt daheim ins Klo
oder auch verborgt,
gleich entsorgt.

Der Wirtschaft wird so wohlgetan.
Der Kunde leichten Schrittes dann
beschwingt nach Hause kehrt,
unbeschwert.

Aberach fand es am besten,
die Idee sogleich zu testen
in der, Gott behüte,
neuen Tüte.

Wennemann hat abgewunken
und ist in Trübsal tief versunken,
die beide nun vereint,
wie es scheint.

 

Straßenverkehr 

Am Lenkrad ganz perfekt
fährt Wennemann korrekt,
jedoch er muss sich grausen
ob der Verkehrsbanausen,
die sich als wahre Flegeln
entheben aller Regeln.

Dieselben fahren nur
stets auf der linken Spur,
nur immer auf der linken
und ohne je zu blinken,
wohl aber um zu schleichen
und niemals auszuweichen.

Doch die besonders Schlechten,
die fahren auf der rechten,
um dort auf breiten Sohlen
ganz schnell zu überholen.
Der Stopp beim Stoppschild gilt
vermutlich nur dem Schild.

Auch die beruhigte Zone,
weil man dort selbst nicht wohne,
durchrast man um so flotter
wohl über Stein und Schotter,
parkt in der dritten Spur
mit Zettel „Bin auf Kur“.

Herrn Wennemann verbittert,
dass hier die Ordnung splittert.

Der Aberach dagegen
gibt ihm zu überlegen,
dass zwar so manche Lenker
chauffieren wie die Henker,
jedoch im Fall des Falles,
dass alle machten alles
verkehrt, dann folgte dem:
auch dieses hat System,
und Wennemann sei der,
der störe im Verkehr,
weil einzig er allein
hält alle Regeln ein. 

 

Wennemanns Problem

 Wennemann als feiner Mann
zieht nur beste Sachen an.
Für ihn gilt der Ehren-Code:
Kaufe nur in Brompton Road

so wie Mutti Windsor auch
nach dem guten alten Brauch!
Wennemann kauft Underpants
dort nach Seitenpräferenz.

Für des Kunden Händigkeit
stehen RECHTS und LINKS bereit.
Leider hat das nicht geholfen.
Als er Donnerstag beim Golfen

dringend hinter Büschen stand,
fand er nichts, wo sonst er fand.
Die Erkenntnis kam zu spät,
dass die Hose links verdreht.

Aber noch zur selben Stund’
fand Aberach den tiefer’n Grund:
Je komplexer ein System,
desto eher führt es zum Problem.

 

Wennemann, der Reimer

Wennemann kann es nicht lassen,
die Welt und sich auch selbst
in gereimten Text zu fassen. 

Legt er sich des Nachts zu Bette,
wandern in die schwarze Folie
Wörter ein in Reih und Kette,

die sich schieben und sich schütteln,
purzeln, wechseln und verdrechseln,
bis sie sich in Reime rütteln.

Wennemann greift dann zum Block,
der an seinem Bette liegt
und notiert den Text ad hoc.

Solcherweise kam auch hier
der Bericht von Wennemann
justament aufs Druckpapier.

 

Schattenwurf

Wennemann liebt es, wenn nächtens
beim Spazierengehn vermächtens
des Lichts der städtischen Laternen
jeweils beim von diesen sich Entfernen
sein Schatten sprunghaft wächst
und ihm vorauseilt wie verhext.

Der Gedanke schmeichelt ihm verhohlen,
dass er selbst sich könne überholen
nur in seines eignen Geistes Lichte,
wenn er es denn auf sich selber richte.
Zum Unendlichen sieht er sich wachsen –
oder zu den näheren Galaxen.

Herr Aberach, der runzelt seine Stirne
und fragt: Reicht denn das Licht in deiner Birne?
Der Wennemann hat darauf angefangen
zu zweifeln und ist schließlich heimgegangen.
Das Straßenlicht erschien ihm nunmehr heller –
und wieder war der eigne Schatten schneller.

 

Form und Inhalt

Form und Inhalt, welches von den beiden
wird zuletzt den wahren Wert entscheiden?
Wennemann ruft ohne Zögern aus:
Nur der Inhalt kriegt von mir Applaus.

Zum Exempel nennt er guten Wein,
der in einem goldnen Becherlein
grad so gut schmeckt wie in einem Glas.
Aberach jedoch bestreitet das.

Marmor beispielsweise sei doch nur
ein Gestein, ein Fels in der Natur.
Erst der Künstler formt daraus die Werke –
ergo: in der Form liegt alle Stärke.

Freundin Alma hört von der Debatte
und erklärt, es sei wie Caffè latte,
beides würde sich total durchdringen
und den Wert zu zweit zur Geltung bringen.

Erst der eingeengte Horizont
öffne hier die kontroverse Front,
und der Streit der beiden um das Recht
sei im Grunde nur ein Scheingefecht.

 

W & A danken

Wennemann soeben erst geboren,
wäre spornstreichs wieder gleich verloren,
würde er sich in des Lesers Augen
oder Mund nicht neuen Odem saugen.

Selbst der Aberach, sein Zwiegefährte,
nicht allein die Garantie gewährte
auf ein Leben nach dem Niederschreiben –
weshalb beide dankbar hier verbleiben:
gez. Wennemann, Aberach ppa.

 
Falscher Hund
Wennemann hat einen Rassehund,
der ist hochbegabt und Klasse und
mit dem besten Orientierungssinn
kommt er überall zurück und hin.

Wennemann verkauft den Hund ganz weit
weg und gibt ihm ein paar Tage Zeit.
Dann steht fröhlich wedelnd vor der Tür
der Hund und spricht: Ich bin jetzt wieder hier.

Schnell verkauft sein Herr nach kurzer Sichtung
ihn gleich wieder in die andre Richtung.
Fragt der erste Kunde bei ihm an,
gibt ehrlich Fehlanzeige Wennemann.

Und so weiter und so weiter fort
kommt der Hund herum von Ort zu Ort,
dass sein Herr des Zubrots sich erfreue
ohne alle Skrupel oder Reue.

Da entgegnet ihm nun wie so oft
Aberach, der Freund, ganz unverhofft:
Potz und Blitz! Du darfst des Hundes reine
Seele doch nicht für solch hundsgemeine

Tricks missbrauchen. Du bist nämlich hier
der falsche Hund und nicht das brave Tier.
Wennemann bat darauf unter Tränen,
dieses fürder nicht mehr zu erwähnen.

 

Doppelmord
Wennemann ist tief zerknirscht.
Heute früh am Morgen pirscht
er ins Bad, wo er erkennt,
dass ein Silberfischchen rennt
über den gefliesten Grund
mit ’nem zweiten Fischchen und
Wennemann sieht sofort rot,
Wennemann schlägt beide tot.

Dann, bei näherem Betracht,
sieht er, wen er umgebracht:
Eine Mutter ist’s mit Kind,
die zu Tod gekommen sind.

Welche Hoffnung, welches Streben,
welches zukunftsfrohe Leben
hat er hier im Keim erstickt
und schon vor der Zeit geknickt!
All das geht ihm sehr zu Herzen,
und er spendet siebzehn Kerzen.

 

 

Weltreise
Wennemann montiert auf seinen
Rechner eines von den feinen
Satellitenbildprogrammen,
um mit Alma dann zusammen

unsern Erdball zu umrunden
und ins Letzte zu erkunden.
Samstag Nachmittag beim Tee
stechen sie beherzt in See,

reisen an die fernsten Strände
durch zerklüftete Gelände
über Berge schroff und steil
ohne Haken, ohne Seil.

Sie gelangen zu den Wüsten
und romantisch wilden Küsten,
zu den größten Wasserfällen,
oder auch auf die Seychellen.

Ganz, wie sie es gerne hätten,
schlendern sie mal durch Manhattan,
über die Champs Élisées
und sogar bis Ninive.

Schließlich zoomen sie sich ran
an den Freund von Wennemann:
Aberach mit Kaffeetasse
sitzt entspannt auf der Terrasse,

und als wär’ es ihm vertraut,
dass von oben jemand schaut,
salutiert er mit der Linken –
Wennemann und Alma winken.

Allein
Allein auf eines Waldes Wiese,
des Glaubens, niemand sähe diese,
steht Wennemann fast wie verloren,
um in der Nase sich zu bohren.

Indes, er hat die Rechnung ohne
die Satellitenumlaufzone
gemacht und nicht bedacht, dass droben
viel Augen durch den Himmel toben.

Des Abends ist er ganz verblüffelt,
dass Aberach ihn strengstens rüffelt.
Nur Alma tröstet ihn verhohlen
und hat den Keller ihm empfohlen.

 

Copyright Dr. Eberhard Grundmann

 

Published inGedichte

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