Anfang 2010 gab ich der Zeitschrift medintern eine gedrängte Zusammenfassung dessen was man damals über das Syndrom dachte. Sie stand unter dem Titel „Aus der Taufe gehoben: Das Fibromyalgiesyndrom – jetzt eine richtige Krankheit?“ (1/2010, 21 f.). Schlaglichtartig referierte ich den Konsens der Fachgesellschaften sowie der S3-Leitlinie, die bis 3/2011 gelten und dann vollständig revidiert werden sollte. Das Krankheitsbild wurde zum Weichteilrheumatismus gezählt. Namhafte Rheumatologen, V. R. Ott und Klaus L. Schmidt, an der Klinik und dem Institut für Physikalische Medizin, Balneologie und Rheumatologie der Universität Gießen in Bad Nauheim[1] hatten mir die notwendige rheumatologische Basis vermittelt. Darauf konnte ich bei den Erfahrungen mit Fibromyalgie-Patientinnen aufbauen. Das Syndrom ging mit großflächigen Schmerzen, die sich über mehrere Körperregionen und einen Zeitraum von über drei Monaten erstreckten, einher. Dazu kamen vegetative Symptome und verschiedene psychische Störungen. Im Gegensatz zu den oft als unerträglich empfundenen Schmerzen waren die Labor- und Röntgenbefunde völlig unauffällig. Medikamentöse Therapieversuche endeten oft enttäuschend. „Polymodale“ Konzepte und „multidisziplinäre“ Behandlung wurden empfohlen, nicht ohne vor den Gefahren der Polypragmasie zu warnen. Die Patientinnen waren darüber zu informieren, dass ihnen zwar im Rahmen der Fibromyalgie keine Organschäden drohten, ihre Beschwerden aber real und sehr langwierig seien[2]. Eine Patientin wurde geradezu abhängig von meinen lokalanästhetischen Infiltrationen und war nur mit großer Mühe von ihrem beständigen Drängen abzubringen.
Nun berichtet – den Göttern sei Dank! – das Hessische Ärzteblatt 6/2023, 351 vom Paradigmenwechsel bei chronischen Schmerzzuständen…
Die Rede ist von chronischen Schmerzen in mindestens drei oder mehr Körperquadranten (obere/untere/linke/rechte Seite des Körpers; im Achsenskelett Nacken, Rücken, Brust, Bauch) unter Betonung psychischer und sozialer Faktoren. Das Fibromyalgie-Syndrom sei nicht nur aus der Gruppe der rheumatologischen Erkrankungen verschwunden sondern als Begriff im ICD-11 nicht mehr zu finden. Künftig befindet sich das chronische ausgedehnte Schmerzsyndrom bei den primären Schmerzzuständen (MG30.01). Damit werden wir vorläufig leben können, auch mit dem Begriff Körperquadranten. Die Beschreibung dieser Regionen ist jedoch in einer so heillos infantilen Diktion abgefasst (obere/untere/linke/rechte Seite des Körpers) dass ich mich gezwungen sehe, eine Revision des ‚medizinischen‘ Sprachgebrauchs zu empfehlen.
[1] Später Kerckhoff-Klinik, Abteilung Rheumatologie.
[2] Da schaute dem erfahrenen Diagnostiker der eigene Zweifel am real existierenden Krankheitsbild aus allen Knopflöchern, Klaus L. Schmidt (Checkliste Rheumatologie, Stuttgart – New York 2000) 368-373 .
Dr. med. Dr. phil. Waltrud Wamser-Krasznai, geb. 1939 in Darmstadt. Studium der Medizin in Freiburg und Marburg, 1965 Promotion zum Dr. med. Kassenarztpraxis als Fachärztin für Orthopädie 1974-2007, anschließend privatärztlich tätig.
1996 Magister artium in Gießen (Klassische Archäologie, Alte Geschichte).
2003 Promotion zum Dr. phil. Freie wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Professur für Klassische Archäologie der JLU Gießen.
Bibliographie. Auswahl:
2000: Frauenraubszene. Eine Kalksteingruppe aus Tamassos, in: Periplus. Festschr. Hans-Günter Buchholz
2003: Drei Terrakottastatuetten, in: Die Akropolis von Perge I (Mainz 2003)
2006: Irdische Füße olympischer Götter (mit M. Hundeiker, M. Recke)
2007: Antike Weihgeschenke im Blickpunkt der Andrologie, in: Kleine Kulturgeschichte der Haut, 100-103
2007: Tempelknaben in Tamassos (mit H.-G. Buchholz) RDAC 2007, 229-256
2008: Kultische Anatomie (mit M. Recke). Katalog und Broschüre zur Ausstellung im Medizinhistorischen Museum Ingolstadt
2011: Die Gicht! Eine Hure ist sie, eine verfluchte Hure! Die Gelenkleiden des Hermann Hesse, Orthopädie & Rheuma
2012: Wie man sich bettet…Lager und Lagern in antiken Heil-Heiligtümern, Les études classiques 80, 2012, 55-72
2012-2013: Auf schmalem Pfad (Minerva Verlag Budapest)
2013: Für Götter gelagert. Studien zu Typen und Deutung Tarentiner Symposiasten (Minerva Verlag Budapest)
2015: Fließende Grenzen (Minerva Verlag Budapest)
2015: Aphrodite auf der Akropolis von Perge? (mit M. Recke) in: Figurines de terre cuite en Méditerranée grecque et romaine (Villeneuve d’Ascq 2015) 547-553
2016: Beschwingte Füße (Minerva-Verlag Budapest)
2017: Streufunde. Aus Archäologie und Dichtung (Weinmann Filderstadt)
2017: Katalog ausgewählter tier- und menschengestaltiger Figurinen, in: Die Akropolis von Perge (Antalya 2017) 427-454
2017: Terrakotta- Plaketten mit weiblichen Figuren („Astarteplaketten“) aus Tamassos, RDAC 2011-12 (Nikosia 2017) 513-545
2018: Scholien und Spolien (Weinmann Filderstadt)
2018: Mäander (Weinmann Filderstadt)
2019: Alpha-Götter 19.12.2019 (Weinmann Filderstadt)
2021: Füllhorn (Weinmann Filderstadt 2021)
2023: Nachlese (Minerva-Verlag Budapest)
2024: Asklepiaden (Minerva-Verlag Budapest)