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Zwei Schwestern (Jürgen Rogge)

 

Es waren einmal zwei Schwestern, die saßen unter einer Platane am See. Da kamen kräftige Jäger geritten und verliebten sich sogleich in die beiden Schönen. Den Schwestern gefielen die Waidmänner zwar, aber ihr Hochmut ließ eine solche Regung nicht zu. „Schau mal“, rief die eine der anderen zu, „die haben wohl eben erst Reitunterricht genommen. Gleich werden sie vom Pferd fallen.“ Und die andere lachte und antwortete: „Mit Pfeil und Bogen können sie gewiss auch nicht umgehen. Sie haben ja noch gar nichts geschossen.“

Und so ging es weiter, bis der rothaarige Jägersmann sprach: „Habt Ihr Lust, uns zum Hofe zu begleiten? Wir könnten Euch heute Abend zum Tanze ausführen“. Die Schwestern riefen wie aus einem Munde: „Mit einem Rotfuchs?“ Aber sie wurden stutzig: „Wieso zum Hofe? Seid Ihr keine Jäger?“ – „Nein“, sagte der Jägersmann mit der Hakennase, „wir sind Königssöhne.“ Da lachten die Schwestern noch höhnischer. Sie riefen: „Haha, gewiss handelt es sich um ein ganz besonderes Königreich, vielleicht sogar um das, welches am Zauberberg liegt, wo der Zauberkönig regiert.“ „Genauso ist es“, erwiderten die Jäger. Die Schwestern konnten vor Lachen kaum noch sprechen und stammelten: „Dann seid Ihr natürlich fähig, uns ein Zauberkunststück vorzuführen, damit wir vor Ehrfurcht erstarren.“ Und sie lachten weiter.

Da hob der rothaarige Jäger einen Pfeil, der zum Zauberstab wurde, und machte damit wellenartige Bewegungen. Flugs befanden sich die Schwestern nicht mehr am Ufer des Sees, sondern auf einem Floß inmitten des Wassers. Der Habichtnasenjäger, der einen Falken auf seiner Schulter trug, rief: „Ihr werdet erst wieder an Land kommen, wenn Ihr mittels dieses Sees ein gutes Werk getan habt. Den Falken lassen wir Euch hier. Er wird Euch durch Zauberkraft helfen. Und nun, Bruder, kommt, sonst verpassen wir noch den Ball.“
Da war den Schwestern das Lachen vergangen. Sie versuchten, an Land zu kommen, was wegen einer Strömung nicht gelang. Sie riefen um Hilfe, aber niemand kam. Und der Falke antwortete auf ihre drängenden Fragen, dass sie sich selbst etwas überlegen müssten.
Da kamen sie auf die Idee, das Wasser des Sees ablaufen zu lassen, damit die Fische als Nahrung für die Bewohner des umliegenden Landes Verwendung finden könnten. Aber die Fische schwammen mit fort.
Dann ließen sie mit der Hilfe der Zauberkraft des Falken das Wasser des Sees salzig werden, damit sich Heringe, Flundern und Kabeljau vermehrten und nicht bloß Plötzen. Da aber starben alle Wasserpflanzen und Bäume ab und die Tiere des Waldes hatten kein Trinkwasser mehr.
Später untersagten sie das Angeln, damit sich die Fische rascher vermehren konnten. Da hungerte das Volk.
Danach mussten die Blesshühner jeden Tag zwei Eier legen, wodurch die Schwäne, Wildenten und Wildgänse sich gestört fühlten und abzogen. Die Schwestern hatten jeden Tag einen neuen Einfall, aber eine wirklich gute Tat war nicht dabei.
Die Jahre vergingen. Der See wucherte allmählich zu. Da kam den Schwestern die Erleuchtung: Sie baten den Falken, aus dem See eine Wellness-Oase zu entwickeln. 24 Stunden Spaß! Beauty-Shops! Sauna! Massagen! Wasserski! Tauchkurse! Die Achterbahn landet im Wasser!
Eines Morgens erschienen die Königssöhne, begleitet von ihren Gemahlinnen, und ließen die Schwestern an Land kommen, damit sie kein weiteres Unheil anrichten konnten.

Copyright Dr. Jürgen Rogge

Published inProsa

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