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Sprache (Waltrud Wamser-Krasznai)

Noch einmal? Sprache[1]!
Winston Churchill hat es uns schwarz auf weiß gegeben: nimm einem Volk seine Sprache und du brauchst sein Land gar nicht erst zu besetzen. Diese 1943 vertretene Sentenz[2] ist längst erfolgreich umgesetzt worden. Wir und unsere Landsleute tun schon alles Nötige, im voraus eilenden Gehorsam und weil wir uns so unsicher fühlen in unserer nationalen Identität. Auch unsere manches Mal  wahrhaft bewundernswerte Ex-Kanzlerin versteckt ihre Fahne. Hu.
    Oder? Kann sie, darf sie, können, dürfen wir gar nicht anders? Es ist eigentlich keine Frage: wir dürfen nicht anders[3]. Wissenschaftliche Kongresse in unserem Land, mit der überwältigenden Teilnahme deutschsprachiger Referenten sind englisch organisiert und werden in englischer Sprache durchgeführt. Anderen Falles fände die Tagung wohl gar nicht in der Bundesrepublik Deutschland statt.  
    Über das Netz ein Hotel buchen – alles nur englisch. Wenn ich Glück habe, entdecke ich Wikipedia und kann hoffen, unter 256 Sprachen auch die deutsche zu finden. Na toll. Und so weiter. Es ist die Sprache in all ihren Arten und Abarten, in Form von Musiktexten, Ersatz von Melodie durch Geräusch – beat – wird   man wohl sagen; Textilien in kitschigen Farben mit englischen Aufschriften, schmerzhaft knallige Weihnachtsbeleuchtung – es gibt viele Möglichkeiten um Zielpersonen nachhaltig[4] zu infiltrieren.
    Von den Amerikanismen, die wir zu ertragen haben, ist das weit verbreitete „Sinn machen“ eines der unangenehmsten, denn das ist falsch, ganz falsch! „To make sense“ ist angelsächsisch. Im Deutschen heißt es: Sinn haben (es hat – keinen – Sinn). Andere Anglismen kommen schon zu den Ohren heraus, wie das allgegenwärtige „okay“ oder „cool“, was sich im Mund von krampfhaft jung gebliebenen Alten besonders lächerlich ausnimmt. Da lobe ich mir das niederbayrische „passt“! Lustig sind auch die „neudeutschen“ Wortschöpfungen wie das verbreitete „Handy“. Amerikaner lachen sich scheckig darüber; sie sagen „mobil“. Die Italiener verwenden das sympathische „telefonino“.
    Ich mag Sprachen, aber es muss nicht unbedingt englisch sein; darin habe ich (zu) wenig Übung. Wir hatten in der Schule neun Jahre lang Englisch-Unterricht und ich brachte es sogar meistens zu einer Zwei. Nur: es war eine Art Shakespeare-Englisch. Als ich 20 Jahre später vorhatte, in die USA zu reisen, belegte ich vorher zwei Semester Englisch an der Volkshochschule. Sie können sich vorstellen, wie wenig ich damit für Kalifornien gerüstet war!
    Die italienische Sprache ist Musik in meinen Ohren. Das rollt und perlt nur so über die Zunge, mehr noch als Französisch, von anderen Idiomen gar nicht zu reden. Tatsache bleibt: die Mutter der romanischen Sprachen ist nun einmal Latein. Im 31. Buch seiner Naturgeschichte  III 6-8 bespricht Plinius d. Ä. den unterschiedlichen therapeutischen Nutzen verschiedener Heilquellen. So seien auf dem Landgut[5] des genialen Redners und Staatsmannes Cicero kurz nach dessen Tod warme Quellen hervorgetreten, die angeblich bei Augenleiden helfen: 
   Wo dir, o Schirmherr der klassischen römischen Sprache,
   Schöner grünender Wald    dein berühmtes Landgut umgibt,
   Sprudeln nun wieder die Quellen, die vormals versiegten,
   Deren erquickender Tau den Augen zum Segen gereicht.
   Wahrlich, hier rühmt man nicht nur die Werke der Feder,
   Die du, Cicero, selbst den Lesern im Erdkreis geschenkt;
   Nein, du erschlossest dazu die kräftige Wirkung der Quelle,
   dass es an Wasser nicht mangle den matten Augen zum Heil
[6].

    Was uns geprägt hat, hängt meiner Meinung und Erfahrung nach ganz entscheidend mit „Sprache“ zusammen. Ende der 50er Jahre des vorigen Jahrhunderts herrschte Mangel an Lateinlehrern, und mein Vater, der seiner Ausbildung entsprechend naturwissenschaftliche Fächer unterrichtete, als Schüler aber neun Jahre lang Lateinunterricht gehabt hatte, konnte einspringen. An den Nachhilfestunden, die er Gymnasiasten aus dem Freundeskreis erteilte, nahm ich stillschweigend teil. Es war eine Fundgrube der Allgemeinbildung, denn ich erlebte, wie lateinische (und griechische) Ausdrücke, die man damals noch in der Umgangssprache verwendete, bis zu ihrem Ursprung abgeleitet werden konnten. Sehr einprägsam!
    Später geriet ich an einen Sprössling der ehemaligen Donaumonarchie und ärgerte ich mich anfangs gewaltig, wenn er mit anderen Ungarn stundenlang unverständliches Zeug redete. Als ich mich beschwerte, erhielt ich lakonisch den Rat: „Dann lern‘ s halt“. Recht hat er gehabt. Auch ungarisch ist nicht un-lernbar.
    Korrektur liest heute anscheinend niemand mehr. Was uns da in Zeitungen und am Bildschirm zugemutet wird, ist fern aller regulären deutschen Orthographie  und Grammatik. Das tut richtig weh. Einmal meinte ich Herrn Matthias Müller, dem Herausgeber und Chef-Redakteur des „Paparazzi“, in dem er seine anspruchsvollen Texte unter dem Titel „Schwere Kost“ publiziert, meine Fähigkeiten als Korrekturleserin anbieten zu sollen, kostenlos versteht sich. Er hat nicht geantwortet, aber ich gewinne den Eindruck, dass wenigstens seine eigenen Beiträge jetzt nicht mehr ganz so stark von schlimmen Patzern durchsetzt sind.
Land der Dichter und Denker? Wie bereits 1841 Georg Herwegh in seinem Wiegenlied spottete:
Deutschland – auf weichem Pfühle
Mach dir den Kopf nicht schwer,
Im irdischen Gewühle
Schlafe, was willst du mehr?[7]

 




[1] W. Wamser-Krasznai, Sprache, in: Mäander (Filderstadt 2018) 47 f. und in: Brosamen (Budapest 2023) 41 f.

[2] W. Churchill 1943: Robert Phillipson, Linguistic Imperialism Continued (New York – London 2009)

S. 114: He is reported saying in 1943: „I am very much interested in the question of Basic English. The widespread use of this would be again to us far more durable and fruitful than annexation of great provinces“. Zukünftige Reiche werden Reiche des Geistes sein, R. Phillipson 2016, 134.

[3] Sehr aufschlussreich dazu: Peter Orzechowski, Besatzungszone. Wie und warum die USA noch immer Deutschland kontrollieren (Rottenburg 2019).

[4] Im ursprünglichen Sinne!

[5] Zwischen dem Averner See und Puteoli/Pozzuoli.

[6] Von Laurea Tullus, libertus/Freigelassener des Marcus T. Cicero. Übertragung Waltrud Wamser-Krasznai.                            

[7] nach J. W. Goethe, Nachtgesang:

O! Gib vom weichen Pfühle

Träumend ein halb Gehör,

Bei meinem Saitenspiele

Schlafe, was willst du mehr!

Published inProsa

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